Les hommes n’acceptent le changement
que dans la nécessité
et ils ne voient la nécessité
que dans la crise.

Jean Monnet (Mémoires;
Neuausgabe 2022
mit Vorworten von Emmanuel Macron
und Ursula von der Leyen)

Berlin, 31. August 2023

Liebe Mitglieder

die Sommerferien sind vorbei und das Jahr ist schon fortgeschritten. Damit wird es wieder Zeit für unsere Mitgliederversammlung. Ins Auge gefasst haben wir Freitag, 10. November, wie immer in der Botschaft Frankreichs am Pariser Platz, gefolgt von einem Empfang durch Botschafter François Delattre. Dazu gibt es auch diesmal ein reichhaltiges fachliches Rahmenprogramm, beginnend – wie im Vorjahr – mit einem Trefffen der jüngeren Jahrgänge am Vorabend in einer szenigen Berliner location. Freitag geht es mittags im Bundesverteidigungsministerium um die „Sicherheitspolitische Zukunft und strategische Souveränität Europas im deutsch-französischen Kontext“ und Samstagvormittag wird im Brücke-Museum der Expressionismus in seinen deutsch-französischen Bezügen vorgestellt. Bitte merken Sie sich dieses Wochenende bereits vor. Die förmliche Einladung zur Mitgliederversammlung, verbunden mit dem fachlichen Rahmenprogramm, erfolgt noch form- und fristgerecht.
Bereits vorher, vom 2. bis 5. November findet die Assemblée générale der „Confédération internationale des anciens de l’ENA et de l’INSP“ auf Einladung der marokkanischen „Ehemaligen“ in Rabat statt. Wir werden dort durch unser für die internationalen Beziehungen zuständiges Vorstandsmitglied Ralf Schnieders vertreten. Dabei wird zu diskutieren sein, ob wir 2024 die nächste Versammlung ausrichten, nachdem die französische Vereinigung wegen der Olympischen Spiele in diesem Jahr zurückgezogen hat. Dies wäre zwar eine Ehre, aber auch eine Herausforderung für unsere Gesellschaft. In der Mitgliederversammlung werden wir darüber beraten.
Zum Schluss noch ein Hinweis auf die Besprechung zweier umfangreicher Memoirenwerke auf den Seiten 7 ff., die uns freundlicherweise camerade Jacob Ross zur Verfügung gestellt hat. Auch wenn sich die Rolle der Diplomaten in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat und man sich wie der „Mann ohne Eigenschaften“ fragen sollte, ob die Zeiten tatsächlich schlechter oder man nur älter geworden ist, so sind die Bücher doch vielleicht Seismographen einer Stimmung, wenn nicht in der Bevölkerung, so doch in gewissen Kreisen der französischen Elite.

Interessant auch die Eindrücke unseres jungen camarade Sigurd Rothe über Stimmungslagen unter Schülern des INSP aus dem „globalen Süden“ auf den Seiten 2 ff..

Table de matières

Avant-propos1
Wechselgeschehen2
Dieses Jahr in Straßburg2
Frankreich vorne4
Drei auf einen Streich – neue Ausgaben der Revue4
„Doppelportrait“ – Zwei Botschafter blicken zurück7
Deutsch-französische Agenda9
„1968“ in Paris – ganz unrevolutionär9
Aus dem Mitgliederkreis11
Courrier des lecteurs11

Wechselgeschehen

Zum 1. August hat Stephan Steinlein, über viele Jahre enger Mitarbeiter – laut Sigmar Gabriel „Alter Ego“ – von Frank-Walter Steinmeier als Staatssekretär im Auswärtigen Amit und Chef des Bundespäsidialamts, Dr. Hans-Dieter Lucas, der nach Rom wechselt, als Botschafter in Paris abgelöst. Für lebhaftes Medieninteresse sorgten aus diesem Anlass nicht die deutsch-französischen Beziehungen, sondern die Kuriosität, dass Steinlein bereits 1990 mit 29 Jahren sechs Wochen lang als Botschafter der DDR in Paris war.

Unser immer hilfsbereiter Ansprechpartner in der französischen Botschaft, Cyrill Blondel (Romain Gary 2003/2005), wechselt als ministre-conseiller (Gesandter) an die Botschaft in Rom. Wir gratulieren ganz herzlich! Sein Nachfolger als Leiter der Kulturabteilung in Berlin wird zum 1. September Thomas Michelon.

Dieses Jahr in Straßburg

Sigurd Rothe, derzeit deutscher Schüler am INSP, hat uns soeben einige persönliche Eindrücke aus dem ersten Jahrgang des neuen INSP geschickt.

„Der Jahrgang 2022/2023 ist der erste, der nun vollständig unter dem neuen Namen des Institut National du Service Public (INSP) firmiert, das seit dem 1. Januar 2022 die ENA abgelöst hat. Als die französischen Kameraden ihre Aufnahmeprüfungen ablegten, ahnten sie jedoch noch nichts von den Veränderungen, die auf sie zukommen würden. Die Befürchtungen, dass die hohen Erwartungen nicht erfüllt werden und man schlechter dastehen könnte als vergangene Jahrgänge, waren daher groß. Es ist dementsprechend auch nicht verwunderlich, dass die Stimmung mitunter von der Wahrnehmung bestimmt war, eine Art „Versuchskaninchen“ für die neue, noch unausgereifte Ausrichtung des INSP zu sein, und dass der Kampf um bestehende Privilegien, wie etwa der Zugang zu einer mindestens gleich großen Anzahl „hochwertiger“ Stellenangebote – ganz überwiegend in Paris – im Vordergrund vieler Diskussionen stand.

Als Namensgeber der promotion hat sich der Dichter und Veteran des 1. Weltkriegs Guillaume Apollinaire gegen Stefan Zweig durchgesetzt, der im Jahr zuvor Germaine Tillion unterlegen war. Neben den avantgardistischen Vorzügen Apollinaires, schien die Idee des heroischen nationalen (Widerstands-)Kämpfers („mort pour la France!“) auch dieses Jahr wieder ein besonders vielversprechendes Kriterium bei der Wahl des Jahrgangsnamens zu sein, auch wenn natürlich andere Faktoren ebenfalls eine Rolle spielten. Interessant fand ich in diesem Zusammenhang, dass fast zur gleichen Zeit in Los Angeles die Neuverfilmung von Erich Maria Remarques kategorischem Antikriegsdrama „Im Westen nichts Neues“ von einer überwiegend angelsächsischen Jury eine Rekordzahl an Oscars verliehen bekam.

Neben meinen Bemühungen um bestmögliche Integration bei den französischen Kommilitonen war es für mich als jungem Diplomaten ein ganz besonderes Anliegen, mit meinen internationalen Kameraden – insbesondere denjenigen aus dem globalen Süden – über die aktuellen Entwicklungen in Frankreich, Europa und auf der Welt ins Gespräch zu kommen. Allein der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine oder auch die aktuellen sicherheitspolitischen Verwerfungen im Sahel boten genügend Anlass dazu. Dabei wurde mir erneut, aber noch einmal stärker als bislang, deutlich, dass wir in Europa nicht als Zentrum und Kompass der Welt wahrgenommen werden und viele berechtigte Argumente und Einwände in Diskussionen am Vorwurf der Doppelmoral oder der grundsätzlichen Ablehnung, Belehrungen jedweder Art zu erhalten, zu scheitern drohen. Besonders Frankreich stehen viele – der doch in Frankreich studierenden – internationalen Kameraden aus dem globalen Süden und insbesondere Afrika sehr kritisch gegenüber. Das hat mich in der Ausgeprägtheit und gelegentlichen Leichtfertigkeit dann doch überrascht. Passenderweise haben mir meine französischen und internationalen Kommilitonen zum Geburtstag die Memoiren des langjährigen Diplomaten Maurice Gourdault-Montagne mit dem schönen Titel „Les autres ne pensent pas comme nous“ geschenkt, eine Lektüre, von der ich in den Ferien bereits etwas kosten und die ich weiterempfehlen kann (Hinweis: Besprechung des Buchs von Jacob Ross auf Seite 7). Zudem habe ich im Rahmen der Lehreinheit „Sécurité et Gestion de Crise“ einen Vortrag zur deutschen Zeitenwende in der Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik gehalten, der insbesondere beim französischen Publikum auf großes Interesse und viele Nachfragen stieß.

Zu den Höhepunkten des nun bald zu Ende gehenden Studienjahres haben sicherlich auch die schönen Ausflüge gehört, die wir in unterschiedlichen Gruppenkonstellationen unternommen haben: Natürlich das séminaire d‘integration in Bischenberg/Elsaß, erholsame Ausflüge nach Freiburg, Sasbachwalden und Freudenstadt im Schwarzwald (besonders die Schnapsbrunnen stießen bei den Franzosen auf viel Belustigung), aber auch fachliche Exkursionen, etwa zum NATO-Kommando Joint Support and Enabling Command (JSEC) in Ulm oder der École de Guerre in Paris zum Thema der nuklearen Abschreckung. Diese Veranstaltung stand dieses Jahr erstmals auch den internationalen Teilnehmern offen. Auch sportlich wusste das INSP zu überzeugen und gewann souverän den „Technokraten-Cup“ der Grandes Écoles, was im Stammlokal Le Tigre gebührend gefeiert wurde.

Abschließen möchte ich mit einem Indiz für das fortlaufende Interesse an der ENA, die zum INSP geworden ist: Mit 2.124 eingeschriebenen Kandidaten für die fünf diesjährigen Aufnahmeprüfungen haben die Bewerberzahlen einen neuen Rekord erreicht, was doch auch deutsche Interessenten für ein in jederlei Hinsicht einmaliges Studienjahr in Straßburg motivieren sollte!“ (Fotos: Sigurd Rothe).

Frankreich vorne

Überraschendes hat soeben die nunmehr 14. Studie des Credit Suisse Research Institut (jetzt zur UBS gehörend) zur weltweiten Vermögensentwicklung an den Tag gebracht, über die in der Wirtschaftspresse berichtet wird. Neben finanziellem Vermögen wurden dabei auch andere Vermögenswerte (insbesondere Immobilien) einbezogen. Bei allen Unsicherheiten der Schätzungen, die auch durch die Wechselkurse beeinflusst werden, ist die Feststellung bemerkenswert, dass die Franzosen mit einem Nettovermögen je Erwachsenem von 312.230 Dollar im weltweiten Vergleich auf Platz 11 liegen, während Deutschland mit 256.180 Dollar nur den 16. Platz erreicht. Der Befund ändert sich nicht, wenn das Medianvermögen – der Betrag, bei dem die ein Hälfte darüber, die andere darunter liegt – betrachtet wird. Der Wert liegt in Frankreich bei 133.140, für Deutschland bei 66.735 Dollar. Inflationsbedingt gestiegen ist im Übrigen die Zahl der Millionäre, aber auch hier ein ähnliches Bild. Frankreich liegt mit 2,8 Mio. an der Spitze, während Deutschland es nur auf 2,6 Mio. Millionäre bringt.

Drei auf einen Streich – neue Ausgaben der Revue

Kurz hintereinander sind gerade drei Ausgaben der „Revue“ erschienen und alle drei sind wieder sehr gehaltvoll geraten. Nr. 521 bietet zusammen mit den „attentes de la societé“ ein breites Spektrum an aktuellen rechtspolitischen Themen, die auch aus deutscher Sicht Beachtung verdienen. Eingeleitet wird das Heft von einem Interview mit dem Justizminister Eric Dupont-Moretti, der in Frankreich den traditionsreichen Titel eines „Siegelbewahrers“ (Garde des sceaux) führt.

In Frankreich mit seinem ausgeprägten, bis zu Ludwig XIII. zurückgehenden, Souveränitätsdenken ist – wie derzeit auch in anderen westlichen Staaten – eine sehr grundsätzliche Debatte über die Rolle der Justiz gegenüber Parlament und Regierung in Gang gekommen. Aufgrund – entgegen der von Hans Kelsen geforderten Normenhierarchie – unklar formulierter Gesetzes- und völkerrechtlicher Vertragsbestimmungen haben sich die Richter für Anne-Marie Le Pourhiet „en véritables conter-pouvoir de l’exécutif ou du législatif“ entwickelt. Als Beispiel führt sie eine Entscheidung des Conseil constitutionnel an, der auf Grundlage der in Frankreich heiligen „fraternité“ dem Gesetzgeber verboten habe, Hilfen für illegale Einwanderer zu streichen. In dieselbe Kerbe haut Jean-Eric Schoettl, der daran erinnert, dass der Richter „n’est ni omniscient, ni infaillible“ ist. Als Zeugnis seiner „culture générale“ stellt er die klassische Frage von Juvenal:“Quis custodiet ipsos custodies?“. Trotz gelegentlichen Aufflackerns einer ähnlichen Diskussion nach Entscheidungen insbesondere des Bundesverfassungsgerichts scheint in Deutschland hier wohl (noch) eher Zurückhaltung zu herrschen.

Die Bürger bewegen die lange Verfahrensdauer, komplizierte Rechtsvorschriften, hohe Verfahrenskosten und eine zu laxe Ahndung von Straftaten. Alles Themen, die auch in Deutschland nicht unbekannt sind. Soziologisch festgestellt wird insgesamt ein mehr oder weniger ausgeprägtes „déficit de confiance“.
Der französische Staatspräsident ist letztlich persönlich für alle Themen der Außen- wie der Innenpolitik verantwortlich. Die Reaktionen auf die von ihm durchgesetzte Rentenreform waren, wie die jüngten Krawalle und die Angriffe auf Kommunalpolitiker, akute Probleme. Die „crise profonde du service public de la justice“, über die der Vizepräsident des Conseil d’Etat Jean-Marie Sauvé schreibt, ist dem gegenüber eher chronischer Natur. Während in Deutschland – wo ein Berliner Oberstaatsanwalt schon vom „Ende des Rechtsstaats“ spricht – die Malaise weitgehend hingenommen zu werden scheint, hat Staatspräsident Emmanuel Macron mit gewohnter Tatkraft die Probleme 2021/22 mit den „Etats généraux de la Justice“ persönlich in die Hand genommen. Für die Jahre 2023 bis 2025 ist nun ein ganzes Maßnahmenbündel zur Verfahrensbeschleunigung geplant.

Neben grundsätzlichen rechtspolitischen Fragen werden, ergänzt von interessantem Zahlenmaterial (z. B. insgesamt stehen danach den 8.500 Richtern und Staatsanwälten in Frankreich an die 22.000 Richter in Deutschland gegenüber), praxisnah Einzelaspekte der verschiedenen Gerichtsbarkeiten dargestellt. Ein aktuelles Thema ist dabei auch der Wettbewerb zwischen Gerichtsständen, wo Paris sich in Konkurrenz zu London, Amsterdam und Frankfurt sieht.

Das Heft enthält eine ausführliche Berichterstattung (mit Foto unseres Vorstandsmitglieds Ralf Schnieders als Initiator) über die „Rencontres européennes de l’INSP“ Anfang Juli sowie die Verleihung des „Prix femmes“ an unser Vorstandsmitglied Katharina Strecker (ebenfalls mit Fotos). Wie immer inspirierend sind die unter dem Stichwort „Mélomanie“ vorgestellten neuen Alben. Wer würde nicht gerne einmal das Album „Zeitgeist“ vom Laurent Cugny Tentet hören? Zum guten Schluss die „Boite à livres“ des unermüdlichen Robert Chelle. Vorgestellt wird u. a. ein Buch des früheren Elsässer Regionalpräfekten Cyrille Schott, den wir vor einiger Zeit in Berlin bei einer Veranstaltung von Joachim Bitterlichs „Deutsch-Französischem Wirtschaftskreis“ kennenlernen konnten. Ob es wohl einen deutschen Regierungspräsidenten gibt, der über ein Thema wie „Le génie historique du Christianisme“ schreibt, das sicher nicht nur für die Verwaltung bedeutsam ist?

Geopolitisch wird es in Heft Nr. 522, wenn die Ozeane als „Herausforderungen für die Souveränität und die Klimaerwärmung“ in den Blick genommen werden. Auch hier findet sich für den deutschen Leser viel Interessantes. Die Bedeutung der maritimen Wirtschaft wird in der deutschen Öffentlichkeit – jedenfalls im Binnenland – kaum angemessen wahrgenommen. Mit einem Umsatzvolumen von bis zu 50 Mrd. Euro und 400.000 Arbeitsplätzen geht sie weit über Badefreuden auf Sylt und dem Darß, auf Rügen und Usedom, hinaus. Eine ganz andere Dimension erreicht der Sektor traditionell in Frankreich, das mit 20.000 km Küstenlänge das „maritimste“ Land der Europäischen Union ist. Naheliegend ist hier auch eine Auseinandersetzung mit sich hier weltweit stellenden Fragen.

Einleitend skizziert der Generalstabschef der Marine, Admiral Pierre Vandier, die strategischen Herausforderungen und sich bietenden Möglichkeiten vor dem großen Hintergrund der Feststellung von Staatspräsident Emmanuel Macron „le XXIième siècle sera maritime“. Das Meer ist zugleich Nahrungsquelle als auch umweltschonender Transportweg. Vandier weist hier auf eine „décontinentalisation“ durch die Sanktionen gegen Russland hin. Über Unterwasserkabel würden 99% aller Daten weitergeleitet. Eine große Rolle spiele der neue „geopoltische Zyklus“, der die Hoffnung auf ewigen Frieden nach dem Ende des Kalten Krieges abgelöst und zu einem „réarmement naval“ geführt habe. Nachdem über 30 Jahre das Meer Schauplatz von Machtdemonstrationen gegenüber dem Land waren, so erscheine inzwischen wieder ein „war at sea“ denkbar. Das Meer sei insbesondere Schauplatz hybrider Bedrohungen, wo es schwer ist, die Angreifer zu identifizieren. Als Beispiel erwähnt Vandier den Anschlag auf die „Nord-Stream“-Gasleitungen.

Alain Bovis, Präsident der Marineakademie, skizziert in seinem Beitrag die lange Geschichte französischer Seefahrer und Entdecker und der französischen Marine, die zeitweise mit der britischen rivalisieren konnte, aber auch politisch von „flux et reflux“ gekennzeichnet gewesen sei. Kardinal Richelieu habe dies zum Ausspruch veranlasst, „les larmes de nos souverains ont le goût salé de la mer qu’ils ont ignorée“. Alan Nagam befasst sich mit der Nutzung der See unter französischer Souveränität und erwähnt dabei auch die Windkraft im Golfe du Lion zwischen Pyrenäen und Zentralmassiv und westlich der Bretagne. Weiter geht es in dem Heft um die Sicherheit maritimer Verbindungen und die „points chauds de l’espace maritime“, wo es sich nicht nur um die bekannten Konfliktfelder zwischen den USA und China, sondern auch das östliche und westliche Mittelmeer handele. Hervorgehoben wird die Bedeutung der Werftindustrie und eine „flotte stratégique“ ins Spiel gebracht.

Die französische „exception culturelle“ auch auf diesem Gebiet manifestiert seit 2010 Marie Détrée-Hourrière als „Peintre officiel de la Marine“. Ihr letzter Einsatz war auf einem Eisbrecher der Marine im von Frankreich seit 1924 beanspruchten Adélieland der Antarktis. Zu sehen sind ihre Werke ständig in der Pariser Galerie „Robillard“.

Trotz schöner Bilder leider eher technisch angelegt ist das supplément der Revue „Bas-Rhin une vocation européenne“. In ihrem Vorwort betont die Vorsitzende von „Servir“ Isabelle Saurat, die der ersten in Straßburg studierenden Promotion „Marc Bloch“ angehört, die besondere Verbindung der ENA zur Stadt. Regionalpräfektin Josiane Chevalier hebt Straßburg als „capitale européenne“ und „capitale sans être capitale d’Etat“ hervor. Sie stehe für Versöhnung und sei die historische Stadt der Menschenrechte, Sitz des Europäischen Parlaments und 25 europäischer Organisationen (der Europarat wird nicht namentlich erwähnt). Besonders hingewiesen wird weiter auf die intensiven grenzüberschreitenden Beziehungen.

Vertieft werden diese Themen indes kaum. Eine Ausnahme ist die Darstellung des „Europa-Parks“ in Rust, der mit 4.750 Mitarbeitern, davon 1.000 aus Frankreich, und 6 Mio. Besuchern im vergangenem Jahr Marktführer auf seinem Gebiet sei. Interessant sind die vorgestellten Standorte vornehmlich südwestdeutscher Unternehmen wie Hansgrohe, Merck und Walter im Elsass. Wenn Marc Haeberlin von der „Auberge de l’Ill“ zu Wort kommt, wird eine von vielen weiteren Facetten des Reichtums der Region beleuchtet.

„Doppelportrait“ – Zwei Botschafter blicken zurück

Zwei ehemalige Botschafter Frankreichs in Deutschland haben vor Kurzem ihre Erinnerungen vorgelegt. Camerade Jacob Ross (Promotion „Hannah Arendt“ 2019/20), Frankreichexperte der DGAP, hat uns dazu einige Anmerkungen geschickt bei denen er Rückschlüsse auf die aktuelle französische Politik zieht.

Claude Martin und Maurice Gourdault-Montagne waren beide Botschafter Frankreichs in Deutschland. Martin hatte dieses Amt außergewöhnlich lange inne – von 1999 bis 2007 – und verantwortete den Umzug der Botschaft von Bonn nach Berlin. Gourdault-Montagne begleitete von 2011 bis 2014 den Wechsel vom „Hyperpräsidenten“ Sarkozy zu seinem betont „normalen“ Nachfolger Hollande. Die Biografien der Autoren ähneln sich: Beide besuchten Sciences Po, Martin zudem die ENA (Promotion „Turgot“ 1966/68). Beide sind überzeugte Gaullisten. 

Schon die Titel der Bücher machen aber die sehr unterschiedlichen Zugänge zu Deutschland deutlich. Quand je pense à l’Allemagne, la nuit, zitiert Martin seinen deutschen Lieblingsautor Heinrich Heine. Das Buch ist von persönlichen Anekdoten durchzogen, liest sich passagenweise wie eine Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen: Seminare bei Alfred Grosser in Paris, Anmerkungen zu Brigitte Sauzay und Anekdoten zu Ulrich Wickerts Käseabenden. Ganz anders Gourdault-Montagne, dessen analytischeres Buch mit einer Binsenweisheit betitelt ist: Les autres ne pensent pas comme nous. Die Franzosen, schreibt er, seien „noch immer überzeugt, die Geschicke der Welt prägen zu können“. Die Beziehung zu Deutschland macht das komplizierter, das steht zwischen den Zeilen. Die „Zeitenwende“, fürchtet Gourdault-Montagne, drohe, Deutschland erneut auf historischer Sonderwege zu führen. 

Viel Platz wird der Europapolitik gewidmet. Beide Bücher üben Kritik am Zustand der Beziehung zu Deutschland, sind aber am spannendsten, wenn sie den Blick auf die EU richten. Die Kritik wird anhand der Ministerratstreffen illustriert, die Martin „schwerfällige Zeremonien“ nennt, Gourdault-Montagne „Großmessen“. Im Streit zwischen Konföderalisten und Föderalisten sieht Martin die Gretchenfrage für Gaullisten seiner Generation. Gourdault-Montage schreibt, die gaullistische Bewegung habe sich an der Frage des Umgangs mit der EU entzweit. Beide Autoren bedauern, dass seit dem ersten Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs (1974) die Runden immer größer wurden und die Diskussionen immer technischer. Eine Politische Union, die mit einer Stimme spricht, rückt aus ihrer Sicht mit jeder Erweiterung weiter in die Ferne. Martin bemerkt: „Europa war eine Religion geworden, deren Kirchen sich leerten, deren Gottesdienste aber weiterhin von einem zahlreichen und anmaßenden Klerus abgehalten wurden“. 

Als Hauptgrund für den französischen „Abfall vom europäischen Glauben“ sehen die Diplomaten das gescheiterte Referendum über die EU-Verfassung von 2005. Deutsche Politiker kritisierten damals die „populistische“ Entscheidung Chiracs, das Projekt zur Volksabstimmung zu stellen. Martin sieht das als Beweis für die Bürgerferne der EU. In Brüssel, schreibt er, „sah man es nicht gern, wenn sich die Völker in europäische Angelegenheiten einmischen“. Dass das 2007 in Lissabon unterzeichnete Vertragswerk das Verfassungsprojekt entgegen der französischen Abstimmung weitgehend übernahm, machte „2005“ in Frankreich zur Chiffre für das Demokratiedefizit der EU – von der extremen Rechten über die Gaullisten bis zur extremen Linken. Martin macht eine bemerkenswerte Anmerkung: Während der Gelbwesten-Proteste sei das Referendum als Beweis dafür zitiert worden, dass die Stimme des Souveräns ignoriert werde. „Zumindest in diesem Punkt konnte ich sie verstehen“ notiert er und gesteht, dass auch er 2005 gegen die EU-Verfassung gestimmt habe. 

Beide Bücher lassen den Leser in Sorge zurück – um die deutsch-französischen Beziehungen und die europäische Einigung. Martins Memoiren sind derart deutlich von Nostalgie und Kulturpessimismus gezeichnet, dass es leicht fallen würde, sie als Erinnerungen eines Mannes von gestern abzutun. Eine EU, die den Brexit durch die Beitritte Moldaus und Montenegros kompensieren wolle, „interessiere ihn nicht mehr“, schreibt er in dem Wissen, damit alle Vorurteile gegenüber französischen Diplomaten zu bestätigen. Die Lektüre lohnt trotzdem, denn beide Bücher lassen eine Debatte erahnen, die die Europawahl 2024 und die Präsidentschaftswahl 2027 prägen könnte und sich um zwei Fragen dreht: Ist Europas Einigungsprozess mit Frankreichs Festhalten an nationaler Selbstbestimmung und direkter Demokratie vereinbar? Und hat der Gaullismus als Fundament der aktuellen Fünften Republik eine (europäische) Zukunft?

Mit Großbritannien hat die EU 2016 eine wichtige Säule verloren. Wenn nun ehemalige französische Spitzendiplomaten schreiben, die Briten hätten „in Wahrheit nie an das politische Projekt Europa geglaubt“, um dann anzufügen, Frankreich müsse in der Welt von morgen „zuerst auf sich selbst vertrauen“, drängt sich die Frage auf, wie es Teile der französischen Eliten mit der EU in ihrer aktuellen Form halten. 

Maurice Gourdault-Montagne: Le autres ne pensent pas comme nous. Paris 2022 (Bouquins editions, 404 Seiten 22 Euro)
Claude Martin: Quand je pense à l’Allemagne, la nuit. Paris 2023
(l’aube editions, 936 Seiten 32 Euro)

Deutsch-französische Agenda

Das wie der „Deutsch-Französische Bürgerfonds“ auf den Vertrag von Aachen zurückgehende „Deutsch-Französische Zukunftswerk“ (https://df-zukunftswerk.eu/) veranstaltet vom 7. bis 8. November in Saarbrücken einen Austausch zum aktuellen Thema der Gebäudesanierung, insbesondere auf kommunaler Ebene. Unsere Berliner Mitglieder hatten bereits vor einiger Zeit ein Gespräch mit Verantwortlichen des „Zukunftswerks“ in dessen Räumen am Berliner Kurfürstendamm. Im Forum Nr. 6 vom 15. August 2021 haben wir darüber berichtet.

„1968“ in Paris – ganz unrevolutionär

Unser Mitglied Ulrich Mentz (Kirchzarten), der mit der berühmten Promotion „Robespierre“, deren Namen bereits Programm war, 1968/69 an der ENA studiert hat, verlässt unsere Gesellschaft leider altershalber. Aus diesem Anlass hat er uns einen kleinen Rückblick geschickt.

„Im Frühjahr 1968 entnahm ich einer Information des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), dass es Stipendien des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) für ein einjähriges Studium an der ENA gibt – es war von einem Sonderkurs für deutsche Verwaltungsbeamte die Rede. Ich war damals als Regierungsassessor beim Regierungspräsidium Nordwürttemberg in Stuttgart tätig. Mein Antrag auf Beurlaubung vom Dienst beim Land Baden-Württemberg zur Teilnahme an diesem Studium wurde entsprochen. Ich war einer von 14 Teilnehmer des ENA-Kurses von November 1968 bis November 1969.

So reiste ich mich mit meiner Frau und unseren beiden Kindern (6 und 1 ½ Jahre) nach Paris. In St. Cloud fanden wir eine möblierte Wohnung in einem netten Haus mit Garten, in dem wir uns wohlfühlten. Am 1. November 1968 begann das Studium an der ENA mit einem Sprachkurs, den ich nicht unbedingt brauchte, da unsere Familiensprache seit jeher französisch war. Dagegen gab die Tatsache, Frankreich einmal nicht so sehr aus dem Blickwinkel eines Touristen, sondern als Beamter einer deutschen Verwaltung wahrzunehmen, meinem Aufenthalt einen besonderen Aspekt. Was nicht bedeutet, dass ich deswegen die Nationaldenkmäler, die Kunstgalerien oder die sehenswerte Umgebung von Paris nur mit Verwaltungsaugen betrachtet hätte.

Das Studium an der ENA war ein großer Gewinn. Sowohl die theoretische Einführung in die französische Verwaltung als auch die Kontakte mit der Praxis bedeuteten für mich damals eine wesentliche Bereicherung. Neben den klassischen Vorlesungen nahmen die Übungen und Seminare einen bedeutenden Raum ein. Jede Sitzung bestand aus einem vorwegbestimmten Thema, zu dem ein oder mehrere Referate ausgegeben wurden. Jeder Teilnehmer musste während der 7 ½ Monate bis zu 6 Referate halten, die möglichst entsprechend dem „ENA-Exposé“ aufzubauen waren und nicht über 15 Minuten dauern durften. Dieser stringente Formalismus hat mir in meiner späteren beruflichen Arbeit sehr geholfen. Um ein Thema richtig zu erschließen, war eine Gliederung des Exposés in zwei Hauptteile mit jeweils zwei Unterabschnitten gefordert. Das erzwingt die Beschränkung auf das exakt ausgewählte Wesentliche und fordert die völlige Beherrschung des Sachgebiets. Dass ein solches Vorgehen im täglichen Berufsleben zu besonders guten Ergebnissen führen kann, leuchtet ein und war daher für mich bei meinen späteren beruflichen Tätigkeiten von großer Hilfe.

Natürlich gab es immer wieder Kontakt zum DFJW, dessen Generalsekretariat und die französische Abteilung in 7. Arrondissement ihre Büros hatten. Dadurch erfuhr ich im Frühjahr 1969, dass die Stelle des Verwaltungsleiters beim Generalsekretariat im Herbst 1969 vakant wurde. Meine Bewerbung hierfür wurde angenommen und ich konnte nach Ende der ENA-Zeit nahtlos meine Tätigkeit beim DFJW beginnen. Vom Innenministerium Baden-Württemberg wurde ich dazu zunächst für drei Jahre zur Dienstleistung beim DFJW beurlaubt. Meine Tätigkeit beim DFJW war sehr abwechslungsreich (Hinweis: Über eine spannende Vorgeschichte des DFJW schreibt camarade Klaus-Peter Schmidt in seinem 2011 erschienenen Buch „Das rätselhafte Testament“).

Ab September 1972 bis Oktober 1973 war ich zunächst als Oberregierungsrat beim Landratsamt Nürtingen und später als Regierungsdirektor beim Regierungspräsidium Stuttgart beschäftigt. Für meine Aufgaben bei diesen Behörden waren meine Erfahrungen aus der Tätigkeit beim DFJW ungemein nützlich. Sie haben sicher auch dazu beigetragen, dass mich der Gemeinderat der Stadt Kehl am 3. Oktober 1973 zum Ersten Beigeordneten wählte. Zu meinen Aufgaben dort gehörte auch der Kontakt mit der Stadtverwaltung Straßburg. Und ich intensivierte meine Kontakte zur Versammlung der Gemeinden und Regionen des Europarats (VGRE), in der ich längere Zeit einer der vom Städtetag benannten deutschen Delegierten war.

Besonders die Erfahrungen aus meiner Zeit beim DFJW führten schließlich dazu, dass ich in Zusammenarbeit mit dem Ortenaukreis, dem Département Bas Rhin und einigen Städten (Kehl, Freudenstadt, Oberkirch, Saverne, Obernai, Molsheim und Strasbourg) bei einem Treffen im Herbst 1973 die Grundlage für die Gründung der Vereinigung „route de l’amitié“ legte, die durch möglichst viele und unterschiedlichen Aktionen und in Zusammenarbeit der Kommunalverwaltungen und von Vereinen die Kontakte zwischen den Bürger beiderseits des Rheins intensivieren sollte. Ich organisierte über viele Jahre unter dem Begriff „Europamarsch“ (Foto von 1983) gemeinsame in der Regel 14-tägige Wanderungen von Städten in Baden-Württemberg zum Europäischen Parlament in Luxembourg und zum Europarat in Straßburg. Unter dem Motto „Lerne die Sprache des Nachbarn“ entstanden viele Kontakte zwischen Schulklassen aus dem Kehler Raum und dem nördlichen Elsass. Daneben entstand eine enge Beziehung zwischen der „école francaise de Kehl“ und einer Kehler Grundschule mit regelmäßigen Begegnungen von Schülern und ihren Eltern der beiden Schulen.

Auf diese Weise habe ich über Jahre weg versucht, nach Jahrzehnten der deutsch-französischen Feindschaft das deutsch-französisches Miteinander für eine gemeinsame friedliche Zukunft zu stärken. Ich glaube, das ist über lange Jahre geglückt. Und ich hoffe, dass dies auch in der Zukunft weiter gelingt.“

Aus dem Mitgliederkreis

Susanne Weber-Mosdorf (Hochdorf) ist der Gesellschaft beigetreten. Nach Tätigkeiten als Bürgermeisterin in Kirchheim unter Teck, als Amtschefin eines Ministeriums in Baden-Württemberg und Abteilungleiterin im Bundesgesundheitsministerium war sie zuletzt Stellvertretende Generalssekretärin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf.

Unser Mitglied Philipp Stiel (München) hat von der Bayerischen Staatskanzlei als Kaufmännischer Geschäftsführer zum Siedlungswerk Nürnberg gewechselt.

Vorstandsmitglied Katharina Strecker hat den Posten als Leiterin der Rechtsabteilung der Botschaft in Teheran verlassen und ist nun als politische Referentin in der Ständigen Vertretung bei der NATO in Brüssel tätig.

Courrier des lecteurs

Unser Mitglied Traudel Boxheimer (Mainz) hat uns (wohl nicht ganz ohne Lokalpatriotismus) als „Trost für die deutschen Architekturfreunde“ die folgenden Bemerkungen zum Artikel über Architektur in Frankreich und Deutschland („Le style cest lhomme“) in der vorigen Ausgabe geschickt.

„’Monter‘ à Paris wird immer die Seele der Franzosen bestimmen. Straßburg als Sitz der ENA und des heutigen INSP am Rande der mittelalterlichen Altstadt – die zusammen mit der Neustadt (sog. „deutsches Viertel“) 1988/2017 als charakteristisches Ensemble des Europas im Rheinland in die Liste der UNESCO Welterbestädte aufgenommen wurde – zeugt vom gemeinsamen Wirken französischer und deutscher Architekten. So unterstützte der Mainzer Stadtbaumeister Eduard Kreysig planerisch die Stadterweiterung in Straßburg zwischen 1871 und 1918. Um als Welterbe anerkannt zu werden, wurde zu dieser Stadterweiterung, die von den Zerstörungen durch den 2. Weltkrieg weitgehend verschont geblieben ist, in den vergangenen Jahren viel geforscht und publiziert.

Das Thema deutsch-französischer Architekturverflechtungen ist für ENA/INSP Absolventen sicherlich spannend. Daher sei auch auf den Aufsatz von Wolfgang Brönner, des früheren Leiters des Landesamts für Denkmalpflege in Mainz, „Der neue Blick auf Staßburgs ‚Neustadt'“ verwiesen: https://www.kunstgeschichte.uni-mainz.de/files/2014/02/PDF-METACULT-n1-web.pdf. Brönner hat sich schon in seiner Dissertation ‚Blondel – Perrault. Zur Architekturtheorie des 17. Jahrhunderts in Frankreich‘ mit dem Thema befasst.“

Francoise Klein, die Vorsitzende des Reseau europe, schreibt aus Luxemburg an unser Vorstandsmitglied Ralf Schnieders: „C’est la première fois que je vois la newsletter de l’association allemande. Je suis très impressionnée par la qualité du travail. Bravo Ralf à votre association. C’est un exemple, en terme de diffusion de l’info et de communication. Je me permets de la partager pour l’exemple.“

"Die großen Fische fressen die kleinen" (Pieter Breugel d. Ä. 1556)
„Die großen Fische fressen die kleinen“ (Pieter Breugel d. Ä. 1556)