Forum ENA Alumni

« Je pense que ce n’est pas bon
ni pour l’Allemagne
ni pour l’Europe qu’elle s’isole »

Staatspräsident Emmanuel Macron
am 20. Oktober 2022 in Brüssel

Berlin, den 20. November 2022


Liebe Mitglieder,

die Zeiten werden ungemütlicher und die Politik kommt kaum mehr aus dem Krisenmodus heraus. Die Temperaturen sinken und die Sorgen in der Bevölkerung nehmen zu. Auch das deutsch-französische Verhältnis hat sich weiter abgekühlt. Also lauter Tiefs und alles andere als rosige Aussichten auf der politischen Wetterkarte.

Das, was wir schon in unserem letzten „Forum“ angedeutet haben, ist nun plötzlich zum großen Thema in allen Medien geworden: In den deutsch-französischen Beziehungen sieht es gerade nicht gut aus und die Absage des ersten gemeinsamen Ministerrats nach langer Zeit zeigt einen hohen Grad an Verwerfungen auf der nach oben offenen politischen Erdbebenskala. Die dahinter stehenden Anliegen und Interessen sind indes nichts Neues, nur ist es in der Vergangenheit doch immer wieder gelungen, Kompromisse zu finden. Dieses Geschick scheint nun möglicherweise, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr so stark ausgeprägt zu sein.

Zu kurz gegriffen wäre es, als Ursache der harschen Reaktionen den innenpolitischen Druck ausmachen zu wollen, unter dem der Staatspräsident steht. Der jetzt notwendige Rückgriff auf den berühmt-berüchtigten Artikel 49-3 der Verfassung ist zwar demokratieästhetisch nicht unbedingt schön, entspricht indes der Verfassungskonzeption, die die Handlungsfähigkeit der Republik gegenüber einer nur in der Ablehnung einigen Opposition sicherstellen will.

Le Premier ministre peut, après délibération du Conseil des ministres, engager la responsabilité du Gouvernement devant l’Assemblée nationale sur le vote d’un projet de loi de finances ou de financement de la sécurité sociale. Dans ce cas, ce projet est considéré comme adopté, sauf si une motion de censure, déposée dans les vingt-quatre heures qui suivent, est votée dans les conditions prévues à l’alinéa précédent. Le Premier ministre peut, en outre, recourir à cette procédure pour un autre projet ou une proposition de loi par session.

Angesichts der aktuellen politischen Situation ist in Paris flüsternd inzwischen nun sogar von einer „6. Republik“ zu vernehmen. Eine „Zeitenwende“ also auch hier?

Noch etwas Anderes: Bitte notieren Sie bereits den 16. Dezember 2022, 16 Uhr für unsere Mitgliederversammlung. Die Einladung kommt form- und fristgerecht. Um 18 Uhr folgt traditionsgemäß eine Réception dans les salons de l’Ambassade durch
S. E. Botschafter François Delattre.

Für den darauffolgenden Samstag bereiten wir ein kleines Programm vor. Auch Angehörige der Promotion Henri-François d’Aguesseau (1980/81) planen ein Treffen an diesem Wochenende.

Veranstaltung zu „Offenburg als Herz der deutsch-französischen Freundschaft“

Jochen Thies, Journalist und Autor zahlreicher historischer Werke, stellte am 26. Oktober auf Einladung der Gesellschaft in Berlin sein im Kehler Morstadt-Verlag erschienenes Buch über „Offenburg als Herz der deutsch-französischen Freundschaft“ vor (Besprechung siehe unten).

Neben dem Rückblick auf die ersten Nachkriegsjahre in der Ortenau standen aktuelle Fragen des Verhältnisses der Nachbarländer im Mittelpunkt der Veranstaltung in der baden-württembergischen Landesvertretung. Begrüßt werden konnten dazu neben den Mitgliedern zahlreiche hochrangige Mitarbeiter der Bundesministerien, Diplomaten, Journalisten und Wissenschaftlerinnen, die sich ein Bild von Offenburg machten. Dabei war auch Ursula Blankenhorn, die Tochter der früheren Offenburger Oberbürgermeisters Karl Heitz.

Zum Bedauern der Teilnehmer musste im Ergebnis festgestellt werden, dass die von Thies festgestellte heutige „Sprachlosigkeit“ – im doppelten Sinne – und die fehlenden Frankreichkenntnisse auf Bundesebene sich zunehmend zu einem Problem für die Beziehungen auswachsen. Aus politikwissenschaftlicher Sicht wurde indes darauf hingewiesen, dass die Beziehungen auch früher schon ihre Hochs und Tiefs gehabt hätten. Abseits der „großen Politik“ werde Vieles auf lokaler Ebene bewegt (Fotos: Gilles Coulinet/Maria-Luise Löper).

Das „Offenburger Tagblatt“ berichtete über die Veranstaltung:
https://m.bo.de/lokales/offenburg/jochen-thies-las-aus-offenburg-buch-in-berlin 

75jähriges Jubiläum in Paris

Heike-Dagmar Joa (Promotion Leonard da Vinci) berichtet über den Empfang aus Anlass des 75-jährigen Bestehens der Association des anciens elèves de l’ENA – der heutigen Association Servir –, der am 29. September 2022 unter der Schirmherrschaft der Premierministerin mit mehr als 800 Teilnehmern in der „Rotonde Gabriel“ der Ecole militaire stattfand.

Präsident Daniel Keller erinnerte in seiner Begrüßungsansprache an wichtige Etappen, die die Association seit ihrer Gründung durchlaufen habe: Nach der Gründung durch die ersten Absolventen der Promotion „France Combattante“ am 26. Oktober 1947 erfolgte am 13. März 1961 die Anerkennung der utilité publique. Am 29. Juni 2022 beschloss die Generalversammlung nun eine Reform der Satzung, mit der klargestellt wird, dass Mitglied der neu gegründeten „Association SeRViR“ sein kann, wer die ENA oder das INSP absolviert hat.

Maryonne Le Brignonen (Promotion Emile Zola), seit Ende 2021 Direktorin des lnstitut national du service public (INSP), betonte in ihrer Ansprache die besondere Bedeutung, die der neuen Einrichtung hinsichtlich Chancengleichheit und Diversifizierung zukomme.

lm Anschluss an Begrüßungsworte und Ansprachen folgte eine Soirée conviviale in gelassener, freundschaftlicher Atmosphäre mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus aller Welt und verschiedener Generationen. Alles in allem eine perfekt organisierte Fünfundsiebzigjahrfeier.

„Weltkongress“ in Québec

Unser stellvertretender Vorsitzender Ralf Schnieders (auf dem Fotounten ganz rechts) berichtet über das Treffen der internationalen Ehemaligenvereinigung.
Vom 13. bis 16. Oktober 2022 lud die Association québecqoise (Aquaéna) unter ihrem Vorsitzenden Richard Perron nach Montréal (Québec) zum jährlichen Treffen der Confédération der internationalen ENA-Ehemaligenvereinigungen ein. Hauptprogrammpunkt war eine ganztägige Konferenz an der französischsprachigen Université de Sherbrooke zum Themenkomplex „Les grands défis des administrations publiques: La cybersécurité, les technologies quantiques, la parité hommes-femmes et la gestion des changements climatiques“. In diesem Rahmen begrüßte die Bürgermeisterin des Ausrichtungsortes die Teilnehmer und gab einen Überblick über ihre politische Laufbahn, die vor wenigen Jahren als jüngste Abgeordnete Québecs begonnen hatte. Der Ansatz der Konferenz bestand in einem Dialog von Praxis und Wissenschaft. Sie wurde auf Video aufgezeichnet und auf dem französischen Fernseh-Kanal Acteurs Publics ausgestrahlt.
Ein Grußwort des französischen Ministre de la Transformation et de la Fonction publique Stanislas Guerini eröffnete die Tagung. Darin würdigte er die Bedeutung der internationalen ENA-Ehemaligenvereinigungen und schloss mit dem schönen Satz: „Une longue vie à la Confédération!“ Daran und auch an der persönlichen Anwesenheit der Direktorin des INSP Maryvonne Le Brignonen wurde deutlich, dass die Confédération durch die Schule und die französische Politik in der Folge einer aktiven Beteiligung am Reformprozess der ENA/INSP verstärkt als Ansprechpartner wahrgenommen wird.
Bei der Vollversammlung der Vertreter der Confédération am folgenden Tag waren in Person die Ehemaligenvereinigungen aus Frankreich, Finnland, Deutschland, Marokko, Kamerun, Libanon, Republik Kongo, Luxemburg, Kanada und Québec vertreten. Per Video waren dazugeschaltet Vertreter aus VR China, Slowakei, Niederlande, Madagaskar, Argentinien. Es wurde eine umfangreiche Änderung der Satzung beschlossen, wobei Artikel für Artikel überprüft wurde. Als wichtigste Änderung wird künftig eine Troika aus dem jährlich gewählten Präsidenten und zwei Vizepräsidenten (die nachfolgende und die vorherige Präsidentschaft) die Confédération leiten, um so eine größere Kontinuität der Präsidentschaften herzustellen und die Arbeitslast des Präsidenten zu teilen. Mit der Namensänderung zur „Confédération internationale des anciens de l’ENA et de l’INSP“ soll der Namenswechsel der Schule nachvollzogen und der Anspruch bekräftigt werden, die Alumni-Organisation auch der künftigen Absolventen des INSP zu sein. Die Teilnehmer fassten eine Resolution, die unter folgendem Link abgerufen werden kann: https://www.serviralumni.com/article/declaration-commune-adoptee-par-les-associations-reunies-a-montreal-le-15-octobre-2022-lors-de-l-assemblee-generale-de-la-confederation/08/11/2022/821

Bitterlichs „Pariser Notizen“

Paris bleibt unruhig: Eine Regierung, die ihre Linie sucht, eine Nationalversammlung, in der zumindest die Regierungsfraktion angesichts einer fehlenden absoluten Mehrheit und damit der fast permanenten Inanspruchnahme des Artikels 49.3 der Verfassung (Vertrauensfrage) übermüdet wirkt und in der die Oppositionsparteien nicht nur untereinander, sondern auch in sich zerstritten sind. „La France insoumise“ wirbelt mit Anträgen für Gesetzesänderungen, ist aber in Wahrheit in sich uneinig, niemand will etwas mit dem „Rassemblement National“ zu tun haben und „Les Républicains“ suchen sich immer noch (frei nach Alain Juppé, der kürzlich meinte, dieser Zustand, verbunden mit einem Drang nach rechts, bestehe nun schon seit 2012). Einer meiner Freunde aus der Assemblée meinte jüngst sarkastisch, man sei auf dem besten Wege, dass es bald nicht nur keine PS, sondern auch keine LR mehr gebe!

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Die Themen sind unverändert: steigende Kaufkraftverluste für den Bürger angesichts einer sich nicht beruhigenden Inflation (zuweilen muss die Frage erlaubt sein, wie die nationale Statistikbehörde INSEE es schafft, bei einstelligen Zuwachsraten zu bleiben) und es häufen sich Unterstützungspakete in alle Richtungen. Das „quoi’il coûte“ ist offiziell vorbei, geht aber in Wahrheit aus Angst vor einer Neuauflage der „gilets jaunes“ munter weiter. Der Bürger muss sich fragen, wie lange das noch ohne ernste Konsequenzen bleiben kann. Der Haushalt 2023 wird von vielen Seiten als unrealistisch und als Risiko angesichts der wachsenden Verschuldung erachtet, zumal die Vorstellung sich nicht erfüllt hat, Deutschland werde mit einem neuen EU-Fonds – diesmal für Energie – hilfreich zur Seite stehen.

Zu alledem kam das Thema Immigration dank der „Ocean Viking“ wieder voll hoch. Die Erlaubnis des Anlaufens von Toulon ist verständlich aus humanitären Gründen, politisch aber seither außer Kontrolle. Der Fall zeigt erneut, wie überfällig ein gemeinsames Handeln der Europäer in diesen Fragen ist.
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Kein Wunder, dass „le tout Paris“ unter diesen Umständen nach einem Sündenbock sucht und ihn nun seit Wochen gefunden hat: Berlin! Beide Seiten hatten nicht den Mut, an den Gipfelkonsultationen festzuhalten und offen die Auffassungsunterschiede zu benennen, dabei die Diskussion in wichtigen europäischen und bilateralen Themen zu suchen und sich um Fortschritte einer Annäherung zu bemühen. Seither ist „man“ um Schadensbegrenzung bemüht, die bislang aber kaum Wirkung zeigt.

Beispiel sind die berüchtigten „200 Milliarden“ – in Verstärkung der „100 Milliarden“ für die Bundeswehr –, die wie eine Bombe einschlugen. Die deutsche Botschaft hatte keine Sprachregelung aus Berlin und verwies dann zu recht wie auch der Bundeskanzler auf die Anstrengungen um eine Bremse für die gestiegenen Energiekosten in anderen Ländern. Versäumt wurde anzumerken, dass er damit auch Frankreich meinte, dessen bisherige Ausgaben den deutschen Haushaltsansatz für 2023 übersteigen. Gut, dass es die Deutsch-Französische Parlamentarische Vereinigung gibt, in der sich beide Regierungen gegenüber den Parlamenten erklären.

Hoffen wir also darauf, dass die Annäherung in den kommenden Wochen vorankommt – das gilt auch für die deutsch-französischen militärischen Prestige-Projekte (beim Kampfflugzeug der Zukunft FCAS scheint der Durchbruch für die nächste Phase gelungen) – und die Beiden vor allem einen Kompass für die Konsolidierung der EU entwickeln. Und seien wir Berlin und Paris nicht gram, wenn beide angesichts der tiefgreifenden Krise um uns herum hierfür Zeit brauchen.
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Ich schreibe diese Zeilen in Saarbrücken am Rande der jährlichen Konferenz der „Saarland-Botschafter“ mit der Landesregierung. Erfreulich, dass man hier um die Verbesserung des Verhältnisses im grenzüberschreitenden Raum ehrlich bemüht bleibt und – das war die Überraschung für mich – offen über die Vorstellung einer Neu-Gründung der EGKS nachgedacht wird. Waren es vor 72 Jahren Kohle und Stahl, so soll es jetzt um erneuerbare Energien und Wasserstoff gehen.

Deutsch-französische Regierungskonsultationen verschoben

Die nach dem Vertrag von Aachen für 26. Oktober 2022 geplanten deutsch-französischen Konsultationen wurden auf Januar nächsten Jahres verschoben. Obwohl offiziell nur von Terminschwierigkeiten die Rede ist, scheint es doch um ernsthaftere inhaltliche und atmosphärische Divergenzen zu gehen. Genannt werden weitergehende französische Vorstellungen in den Bereichen Energie und Verteidigung, auf die die Bundesrepublik nicht kurzfristig eintreten konnte. Damit werden nun die im letzten “Forum“ bereits angedeuteten Streitpunkte manifest.

Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung versucht zu kitten

Am 17. Oktober hat sich der deutsche Vorstand der Deutsch-Französischen Parlamentarische Versammlung unter dem Vorsitz von MdB Dr. Nils Schmid mit unserem Anliegen, die Zahl deutscher Schüler am INSP zu steigern, befasst, ohne dazu aber einen Beschluss zu fassen. Auf der 8. Plenarsitzung am 8. November in Berlin ging es dann aber um noch sehr viel Grundsätzlicheres. Unsere Vorstandskollegin Maria-Luise Löper berichtet.

In dieser mit Spannung erwarteten Sitzung stellten sich sowohl die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock als auch ihre – per Video aus Sharm-el-Sheik- zugeschaltete – französische Amtskollegin Catherine Colonna zahlreichen Fragen zum deutsch-französischen Verhältnis, nach den Positionen zum Ukraine-Krieg sowie zur zukünftigen China-Strategie. In der ausführlichen und lebhaften Fragerunde nahm für die französische Seite vertretungsweise die Staatssekretärin für Europa Laurence Boone (zugeschaltet aus Paris) Stellung.

Wie zuvor schon die beiden Parlamentspräsidentinnen Bärbel Bas und Yael Braun-Pivet betonten die Politikerinnen die besonders enge Verbundenheit der deutsch-französischen Partner und erklärten, dass sie mit „einem gemeinsamen Schulterschluss“ die aktuellen Herausforderungen vor allem auch in Sachen Energiesouveränität meistern wollen. Auf Fragen nach dem deutsch-französischen Verhältnis und den allzu deutlich gewordenen Spannungen sowie mangelnden Abstimmungen verwies Außenministerin Baerbock mehrfach darauf, dass das Vertrauen in den Freund und Nachbarn Frankreich unendlich kostbar sei, „aber eben keine Selbstverständlichkeit“. Freundschaft koste etwas, in sie müsse investiert werden, „gerade wenn man unterschiedlicher Meinung ist.“

Auch Bundestagspräsidentin Bas hatte bereits in ihren Begrüßungsworten ausgeführt, dass es in einigen Fragen unterschiedliche Herangehensweisen sowie unterschiedliche, aber jeweils legitime Interessen gebe. Die Stärke habe bisher immer darin gelegen, diese Unterschiede in Fortschritte für Europa zu verwandeln. Die Präsidentin der französischen Nationalversammlung sprach von „leichten Turbulenzen“, umso wichtiger sei die parlamentarische Zusammenarbeit. In diesem Zusammenhang betonten beide Seiten die Bedeutung der Gründung von drei DFPV-Arbeitsgruppen zur Zukunft Europas, zu Energiesouveränität und der Umsetzung von Europäischen Richtlinien.

Deutschland und Frankreich hätten die gleichen Vorstellungen von einem souveränen Europa, hielt Außenministerin Colonna fest. Die Solidarität zwischen Frankreich und Deutschland sei einer der Schlüssel für den Erfolg in Europa. Beide Länder stünden Seite an Seite, wenn es um darum gehe, die kurzfristige Versorgung mit Gas und Strom zu gewährleisten und eine langfristige Strategie für klimaneutrale Energie zu verfolgen, die insbesondere auf den Grundlagen von grünem Wasserstoff beruhe.

In der allgemeinen Fragerunde betonten beide Seiten die enge Zusammenarbeit mit tagtäglicher Abstimmung (Baerbock). So sei die Verschiebung des geplanten deutsch-französischen Ministerrats kein Hinweis auf verschlechterte Beziehungen, sondern vor allem erfolgt, um die verschiedenen Themen noch besser bearbeiten und zu substanziellen Ergebnissen kommen zu können (Boone). Auch Baerbock betonte, dass „die Beziehungen so intensiv seien, dass wir über identitäre Fragen, über die wir bisher noch nie gesprochen haben, intensiv sprechen wollen.“ Eine dieser Fragen seien Rüstungskooperationen „angesichts eines Angriffskrieges auf unsere Friedensordnung.“ Künftig wolle man so verfahren, dass dies nicht mehr industriepolitische, nationale Fragen, sondern identitäre Sicherheitsfragen seien. Da gehe es „natürlich ans Eingemachte“ und man brauche gut vorbereitete Treffen.

Das Gleiche gelte für die Schaffung einer Energieunion. Zwar gebe es in der Frage der Atomkraftnutzung unterschiedliche Positionen. Dennoch werde geschaut, „wie wir als deutsch-französischer Motor die Energieunion Europas voranbringen können“. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien arbeiteten Deutschland und Frankreich eng zusammen, sagte Baerbock unter Zustimmung der französischen Staatssekretärin für Europa. Das gemeinsame Ziel sei die Dekarbonisierung der Wirtschaft.

Zu der Kritik an den deutschen Hilfspaketen erläuterte Baerbock, dass die 200 Milliarden Euro auf drei Jahre verteilt seien und damit im Verhältnis zur Bevölkerungszahl ungefähr dem entsprächen, was auch andere Staaten als Unterstützungsleistungen erbracht hätten.
Baerbock verwies schließlich auf das zwischen Scholz und Macron verabredete nächste Treffen der beiden Außenministerinnen Ende November sowie auf die für den 13.Dezember geplante Pariser Konferenz zur praktischen (Winter-)Unterstützung der Ukraine, der am 12. Dezember ein Treffen mit dem Privatsektor vorgeschaltet sei. Man hoffe auf eine globale Unterstützung. Schließlich werde es auch eine 3. Moldaukonferenz in Paris geben.

Fazit: Der Sitzung und den ausführlichen Stellungnahmen unter reger Beteiligung der versammelten Parlamentarier war das beidseitige Bemühen anzumerken, die entstandenen Verwerfungen zu überwinden und zukünftig enger und vertrauensvoller zusammen zu arbeiten, getreu dem Motto „ensemble nous sommes plus forts“.

Zusammenarbeit mit den MEGA-Alumni

Viele unserer Mitglieder werden wissen, dass als kleine „Konkurrenz“ zum Studium an der ENA vom Bundesinnenministerium das deutsch-französische Masterprogramm MEGA mit insgesamt vier zweiwöchigen Modulen in Deutschland und Frankreich geschaffen wurde. Beteiligt sind die Bundesakademie für öffentliche Verwaltung, das INSP, die Universität Paris 1 (Panthéon-Sorbonne), die Humboldt Universität und die Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer.

Wir stehen in Kontakt mit deren Alumni-Vereinigung und haben ausgemacht, uns gegenseitig über unsere Aktivitäten auf dem Laufenden zu halten. Erreicht hat uns nun eine Einladung zu einer Table ronde sur la politique énergétique européenne am 24. November 2022 im INSP in Straßburg, die wir an unsere Mitglieder am Oberrhein weitergeleitet haben. Auf dem Podium wird auch unser Mitglied Edda Müller dabei sein.

Warnung vor weiterer „Provinzialisierung und Verzwergung“

In einem breit angelegten, gemeinsamen Beitrag mit dem Henry-Kissinger-Professor Ulrich Schlie fragt unser Vorstandsmitglied Joachim Bitterlich im Bonner „General-Anzeiger“ am 29. September, ob das deutsch-französisches Tandem noch im Tritt sei. Kritisch angemerkt wird, dass die deutsch-französische Freundschaft in der Europarede von Bundeskanzler Olaf Scholz Ende August in Prag mit keinem Wort erwähnt worden sei. Angesichts einer trotz zahlreicher Konsultationsformen bislang auseinanderstrebenden Politik werden Deutschland und Frankreich zu „Mut zur Führung“ aufgerufen.

Die Autoren stellen klar, dass die von Präsident Emmanuel Macron geforderte „strategische Autonomie“ sich nicht gegen die USA richten könne, sondern die Reduzierung von Abhängigkeiten zu Drittstaaten, Diversifizierung in der Außenwirtschaft und Steigerung der Verteidigungsanstrengungen umfassen müsse. Erinnert wird an die Bedeutung von Handelsabkommen mit wichtigen Ländern, wie das von der Bundesrepublik seit fünf Jahren nicht ratifizierte mit Kanada, und die Bedeutung einer gemeinsamen Energiepolitik. Die Autoren fordern eine disruptive Forschungsförderung nach amerikanischem Vorbild (DARPA) und einen mit Zeitzielen versehenen Plan für eine Banken und Kapitalmarktunion. Für die gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik sollte ein Arbeitsprogramm verabschiedet werden. Mit deutsch-französischen Rüstungsvorhaben im Bereich von Luftkampfsystemen (FCAS) und der Entwicklung eines Kampfpanzers (MGCS) könnten hier unter klarer Federführung Zeichen gesetzt werden. Notwendig sei weiter eine „tiefgreifende Überprüfung und Erneuerung“ der Afrikapolitik, auf die der französische Staatspräsident eindringlich hingewiesen habe.

“No country for old men”

An diesen (ausnahmsweise englischen) Filmtitel der Coen-Brüder fühlt man sich erinnert, wenn es um den Ausgang des Duells um das Amt des Deutsch-Französischen Kulturbevollmächtigten geht. Hier setzte sich Ende Oktober die frisch gewählte saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger gegen den altgedienten baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann durch. Die unerbittliche politische Logik, nach der auf einen von der CDU gestellten Amtsinhaber einer oder eine von der SPD zu folgen hat, forderte ungeachtet aller anderen Umstände ihr Opfer. In dieser – inzwischen säkularisierten – Tradition des „eins rechts, eins links“ lebt Deutschland ceteris paribus nun schon seit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555. Zwischen Lutheranern und Katholiken hatten die Reformierten schon damals einen schweren Stand.
Drastisch drückte den Sachverhalt Kretschmanns Bevollmächtigter beim Bund, Staatssekretär Rudi Hoogvliet, aus. Er hatte noch kurz vor der Entscheidung das große Interesse Kretschmanns an dieser Aufgabe betont und sprach nun von einem überholten Muster: „Die grüne Seite droht immer zwischen den Stühlen zu sitzen und am Ende in die Röhre zu gucken.“
Rehlinger ist die nunmehr vierte saarländische Regierungschefin, die nach Oskar Lafontaine (1991–1994), Peter Müller (2003–2006, 2011) und Annegret Kramp-Karrenbauer (2011–2014) das Amt wahrnimmt. Der langjährigen Tradition folgend, will die neue Bevollmächtigte sich insbesondere der Sprachvermittlung und der Berufsbildung annehmen. Als weitere Schwerpunkte nannte sie das „Elysée-Jahr 2023“ und dem „Olympia-Jahr 2024“, aber auch der Zusammenarbeit im Bereich der Forschung, etwa beim Thema Cybersicherheit.

Verwehte Spuren

Jochen Thies, promovierter Historiker und Journalist, war Redenschreiber für Bundeskanzler Helmut Schmidt und ist Autor zahlreicher historischer Werke. Soeben hat er ein kleines Buch über Offenburg als „Stadt der Versöhnung“ vorgelegt, das sich mit den deutsch-französischen Beziehungen befasst in Vergangenheit und Gegenwart befasst.

Das Buch bietet Vieles: Es stellt das nahe der Grenze zu Frankreich am Oberrhein gelegene Offenburg in der Besatzungszeit der ersten Nachkriegsjahre mit den Unternehmergestalten Franz und Aenne Burda dar, enthält aber auch zahlreiche persönliche Erlebnisse des Verfassers in und mit Frankreich. Besonders interessant ist die recht kritische Darstellung des aktuellen deutsch-französischen Verhältnisses.

Kennern der deutschen Geschichte ist Offenburg als einer der Brennpunkte der 48er Revolution ein Begriff. Nur zur Erinnerung: Am 12. September 1847 trafen sich im Offenburger Gasthaus Salmen die „Freunde der Verfassung“. Vor an die 1000 Teilnehmern verabschiedeten sie die „Forderungen des Volkes in Baden“ und formulierten damit das erste demokratische politische Programm Deutschlands.

Weniger bekannt ist indes, dass in Offenburg nach den Gräueln des Kriegsendes in der allerersten Nachkriegszeit sich um den französischen Militärgeistlichen Jean de Riveau (1903-1970) ein Kreis gesammelt hatte, dem es unter dem Motto „On commence avec l’information“ um Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen ging. In diesem Sinne gründete Riveau, kein Intellektueller, sondern ein Mann der Praxis, bereits im Sommer 1945 das Zeitschriftenpaar „Documents/Dokumente“, dessen deutsche Ausgabe eine Auflage von bis zu 65.000 Exemplaren erreichte. 1948 kamen dann das „Bureau international de liaison et de documentation“ (B.I.L.D.) und die „Gesellschaft für übernationale Zusammenarbeit (GÜZ) hinzu. Alle diese Einrichtungenbestehen bis heute. Wichtige Gestalten jener Zeit waren der aus Hornberg im Schwarzwald stammende Wilhelm Hausenstein, später der erste deutsche Botschafter der Nachkriegszeit in Paris, Alfred Grosser und Joseph Rovan (Foto).

Die französische Besatzungspolitik ließ dem Jesuitenpater die notwendigen Freiräume und Offenburg bot sich – etwas entfernt von Sitz des Militärgouverneurs in Baden-Badens „Brenners Parkhotel“ und in günstiger Mittellage – für diese Aktivitäten an. In späteren Jahren setzte sich der französische Hochkommissar André Francois-Poncet, der einen Teil seiner Schulzeit am Großherzoglichen Gymnasium in Offenburg verbracht hatte, für die Stadt ein.

Verglichen mit diesen heroischen ersten Zeiten der späteren deutsch-französischen Freundschaft ist Thies für heute eher pessimistisch. Die „Generation von 1963“, dem Jahr der berühmten, auf Deutsch gehaltenen Ludwigsburger Rede von General de Gaulle an die deutsche Jugend („Sie alle beglückwünsche ich! Ich beglückwünsche Sie zunächst, jung zu sein … Ich beglückwünsche Sie ferner, junge Deutsche zu sein…“) ist längst im Ruhestand und die Zeiten der großen Frankreichkenner in der Politik wie Carlo Schmid und im Journalismus, genannt wird im Buch ausdrücklich ENA-Absolvent Klaus-Peter Schmid, sind für ihn vorbei. Heute herrschten weitgehend Sprachlosigkeit (im wörtlichen und übertragenen Sinne) und gegenseitige Unkenntnis.

Beispiele dafür seien die den Deutschen fehlenden „Antennen“ für die in Frankreich gepflegte Gedenkkultur und das Gefühl für Symbole. Frankreich denke europäischer, die deutsche Vorstellung von Europa sei demgegenüber „flach“. Für die Zusammenarbeit gebe es wenig Selbstverständlichkeiten, dafür Anstrengungen, die täglich erbracht werden müssten. Beiden Völkern gemeinsam fehle das Gefühl einer „Schicksalsgemeinschaft“, deren Testfall die „Solidarität im Krisenfall“ sei. Damit ist das Buch ganz im hier und jetzt angekommen.

Jochen Thies: Die Stadt der Versöhnung. Offenburg als Herz der deutsch-französischen Freundschaft. Mit einem Vorwort von Wolfgang Schäuble.

2022 Kehl (Morstadt Verlag), 185 Seiten, 25,90 Euro

Zwei neue Ausgaben der „Revue“

Ende Oktober sind gleichzeitig zwei neue Ausgaben der „Revue“ eingetroffen, die eine dem Thema „Behinderung“ gewidmet, die andere dem Département „Bouches- du-Rhône“. Wie immer sind die Hefte gehaltvoll und behandeln die Themen unter allen nur denkbaren Aspekten. Neben aktuellen Fragestellungen finden sich auch tiefschürfende kulturphilosophische Betrachtungen wie Le handicap dans l’océan des cultures. Berührend sind Zeugnisse von verschiedenen „personnes en situation de handicap“ wie die des früheren Botschafters Edourd Braine (Francois Rabelais, 1974), der kritisiert, dass das Leben mit Behinderung insbesondere in der Hauptstadt Paris immer noch schwierig sei. Als Beispiel führt er an, dass es der Assemblée nationale unmöglich war, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zu empfangen.

Den aufmerksamen Leser der Revue interessieren natürlich besonders auch die Personalnachrichten. Hier können wir uns freuen, dass der wohlbekannte frühere Botschafter in Berlin, Philippe Etiennne, als Commandeur der Ehrenlegion ausgezeichnet wurde. Den Liebhaber französischen esprits entzückt die Besprechung des Buchs von Alain Minc (Léon Blum, 1975) „Ma vie avec Marx“ durch den unverwüstlichen Robert Chelle. Als Quintessenz stellt der Autor fest, dass Marx als Einziger Wirtschaft, Soziologie, Geschichte, Anthropologie und Psychologie zusammen gedacht habe: „Le seul, le plus grand; vive Karl!“

Auch im Heft über die „Bouches-du-Rhône“ wird auf 126, reich bebilderten Seiten, eingeleitet selbstverständlich vom Präfekten, eine fast unüberschaubare Vielzahl von Themen behandelt und die Gegend in und um Marseille als uralter Kreuzweg der mittelmeerischen Zivilisationen und heute als Mittelpunkt der Globalisierung dargestellt. Wem diese Themen etwas schwer erscheinen, der findet Entspannung in Beiträgen über die Camargue oder das Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers (MuCEM).

Berlin und die große Politik

Historisch vertieft und mit breiter Perspektive behandelt unser Mitglied Hans-Ulrich Seidt in „Cicero online“ vom 23. September die Weltlage, die ihn an das späte 19.Jahrhundert erinnert.

Im Mittelpunkt steht für ihn die künftige Rolle Chinas im Konflikt mit den USA. Der russische Angriff auf die Ukraine sei „Teil eines die Welt umspannenden Machtkampfes.“ Spätestens durch sein militärisches Versagen in der Ukraine sei Russland zum „geostrategischen Junior-Partner Pekings abgesunken“. Das kürzliche Treffen der Shanghai Cooperation Organization (SCO) in Samarkand habe so etwas Symbolisches: Die Stadt war der Mittelpunkt des Reiches des Mongolenherrschers Timurs, der aber trotz höchster Machtentfaltung den chinesischen Ming-Kaisern tributpflichtig geblieben sei. Ein baldiges Ende des Krieges in der Ukraine erwartet Seidt nicht. Der russische Präsident denke in „traditionellen Vorstellungen von Imperium und Orthodoxie“, denen es nicht nur um Krim und Donbass gehe, und er benötige den „Zugriff auf Menschen und Ressourcen der Ukraine“, um globalpolitisch bestehen zu können.

Deutschland müsse sich auf die Herausforderungen durch den Hegemonialkonflikt zwischen den USA und China auf globaler und den russisch -ukrainischen Krieg auf regionaler Ebene vorbereiten. Seidt sieht den Zwang zu einer „großen Politik“. Beantwortet werden müssten dazu eine ganze Reihe von Fragen, insbesondere zu den Wirtschaftsbeziehungen zu China, aber auch zu den immensen Kosten einer EU-Mitgliedschaft der Ukraine. Die „energiepolitisch beschleunigte Neuordnung der Weltwirtschaft“ lasse soziale Spannungen und politische Radikalisierung aufgrund von sinkendem Wohlstand befürchten. Ungemütliche Aussichten!

Paris, wie es einmal war

Die Galerie mühlfeld + stohrer (Fahrgasse 27 in 60311 Frankfurt am Main) zeigt bis Anfang Dezember Bilder des Bremer Künstlers Jub Mönster. In seinen Werken zeichnet er mit Kugelschreiber auf Resopalplatten fotografisch genau Motive aus Zeitschriften und Bildbänden, die das Paris der Sechziger- und Siebzigerjahre zeigen, das ja vielen unserer Mitglieder noch vertraut ist. Die FAZ widmete der Ausstellung am 29. September eine ganze, reich bebilderte Seite. Voraussichtlich am 11. Januar 2023 wird Jub Mönster eine Ausstellung im Pariser Heinrich-Heine-Haus eröffnen. Dankenswerterweise hat uns der Galerist, Herr Kurt Mühlfeld-Hemprich,
erlaubt, einige Kostproben der Bilder in unserem „Forum“ zu zeigen. Ein ideales Weihnachtsgeschenk für alle Paris-Freunde!
Die Preise der Werke bewegen sich zwischen 1.700 und 4.500 Euro.