Forum ENA Alumni

Rien n’est plus dangereux qu’une idée quand on a qu’une idée.

Emile Chartier „Alain“ (1868-1951)

Berlin, den 30. Januar 2023


Liebe Mitglieder,

Mitte Dezember war es soweit: Nachdem die französische AAEENA sich angesichts der Neugründung des Institut National de Service Public (INSP) ihres Namens sowie des selbst für französische Verhältnisse sperrigen Akronyms entledigt hat und nun als „Association Servir“ firmiert (das „e“ soll dabei für die gute alte ENA, das „i“ das neue INSP stehen), war das Thema nun auch bei uns auf der Tagesordnung der Mitgliederversammlung am 16. Dezember.

In der Endausscheidung setzte sich angesichts des auf Deutsch missverständlichen „Servir“ gegen die gleichstellungspolitisch attraktive „Gesellschaft der deutschen ehemaligen Schüler und Schülerinnen der ENA und des INSP e. V.“ die

„Gesellschaft der deutschen Ehemaligen der ENA und des INSP e. V.“

als künftiger Namen der Gesellschaft durch.

Über weitere Ergebnisse der Mitgliederversammlung informiert das beigefügte Protokoll. Ein wichtiges Diskussionsthema war die im Vergleich zu früheren Jahren nurmehr geringe Zahl an deutschen Schülern. Auch dieses Jahr stellen sich nur zwei Kandidaten dem Auswahlgespräch in der Französischen Botschaft.

Im Vorfeld der Jubiläumsveranstaltungen zum 60. Jahrestag des Elysee-Vertrags hatten wir uns an Bundeskanzleramt und Auswärtiges Amt sowie die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung mit der Bitte gewandt, das Thema aufzugreifen. Leider ohne Resultat.

Das Mitgliederversammlungs-Wochenende am 16./17. Dezember

Die Mitgliederversammlung am 16. Dezember in der Französischen Botschaft am Pariser Platz war gut besucht. Die „Association Servir“ hatte aus Paris eine Delegation mit Vorstand Philippe Lacoste, Marie-Christine Armaignac, Vorsitzender der Commission Egalite Femmes- Hommes, Generalssekretär Gilles Duthil und Geschäftsführerin Loubna Mohammad entsandt. Die europäische Vereinigung war mit Francoise Klein aus Luxemburg vertreten und es wurde ein Grußwort des Präsidenten der internationalen Vereinigung Richard Perron aus Québec eingespielt. Im Mittelpunkt der Versammlung stand die Anpassung des Namens der Gesellschaft im Hinblick auf die künftige Einbeziehung von Schülerinnen und Schülern des neu gegründeten INSP.

Für die teilweise von Weit angereisten Teilnehmer hatten wir ein kleines Rahmenprogramm vorbereitet. Bereits Donnerstagabend fand in der szenigen „Tisk Speisekneipe“ in Neukölln ein von Ralf Schnieders organisiertes Treffen mit frischgebackenen Absolventen von ENA/INSP statt. Freitagmittag erläuterte Fabrizio Micalizzi als Büroleiter der „Koordinators für die transatlantischen Zusammenarbeit“ Michael Link im stimmungsvollen „Willy-Brandt-Saal“ des Auswärtigen Amts die Herausforderungen der innenpolitischen Lage in den USA für die deutsche Politik.

Im Anschluss an die Mitgliederversammlung fand der traditionelle Empfang statt. Da Botschafter François Delattre auf Dienstreise in Stuttgart war, begrüßte Kulturrat Cyril Blondel mit einer gehaltvollen Ansprache die Teilnehmer und Teilnehmerinnen.

Am folgenden Tag stellte Andreas Görgen, Amtschef der „Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien“ – gerade auf dem Sprung nach Nigeria zur Übergabe von 20 „Benin-Bronzen“ aus verschiedenen deutschen Museen – die deutsche Restitutionspolitik vor, die darauf abziele, zwischen Eigentum und Aufbewahrung zu unterscheiden. So könnten trotz Rückübertragung Kunstgegenstände auch weiterhin in Deutschland ausgestellt bleiben. Fernab von Symbolpolitik werde die Restitution mit einer breit angelegten musealen Zusammenarbeit verbunden. Man habe gehofft, nach diesem Vorbild auch in Russland lagernde deutsche Kulturgüter zurückzuerhalten, was seit dem 24. Februar allerdings hinfällig geworden sei. In der Diskussion wurde unter anderem auch nach der Verfügungsbefugnis über die Sammlungsgegenstände gefragt. Der anschließende Besuch der Ethnologischen Sammlungen des Humboldt-Forums zeigte die praktische Umsetzung dieser Überlegungen.

Den Abschluss des Programms bildete ein Besuch der in der Galerie von Marcus Deschler in der Auguststraße. Der Galerist persönlich erläuterte die aktuelle Ausstellung des Wuppertaler Künstlers Holger Bär mit großformatigen Werken, maltechnisch und thematisch auf den Spuren französischer Pointillisten. Ähnlich wie epochal die Gruppe „Kraftwerk“ in der Musik, setzt Bär auf eine Maschine, die computergesteuert mit zahllosen Farbpunkten das Motiv hervortreten lässt (Näheres siehe weiter unten).

„Das verflixte sechzigste Jahr“

Angesichts der nunmehr schon fast chronischen Sprachlosigkeit zwischen den Regierungen ist eine „relance-franco-allemand“ dringend nötig. Die in der Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung von Ende 2021 mehrfach angesprochene – in Frankreich geschätzte – „europäische Souveränität“ ist bislang kaum mit greifbaren Tatsachen unterfüttert. Auch das in der Rede des Staatspräsidenten im Mai vor der Konferenz zur Zukunft Europas dargelegte europapolitische Programm hat – soweit ersichtlich – auf deutscher Seite nichts in Bewegung gebracht. Die überschießenden Reaktionen in Deutschland auf Vorschläge des Staatspräsidenten vom November zur Beendigung des Russisch-Ukrainischen Kriegs zeigten, dass sich an dem Befund trotz aller offizieller Bekundungen des guten Einvernehmens nichts geändert hat. Nachdem im vergangenen Jahr der „Doppel-Wumms“ und die Ankündigung eines europäischen Flugabwehrsystems für Überraschung in Frankreich gesorgt hatten und man auch bei der Bestellung von Flugzeugen vorerst leer ausgegangen war, ging es Anfang des Jahres in ähnlichem Stil weiter. Fast wie eine kleine Retourkutsche wirkte die Ankündigung des Staatspräsidenten Anfang Januar, der Ukraine Spähpanzer liefern zu wollen, während die davon offensichtlich überraschte Bundesregierung eilig erst am Tag darauf mit Schützenpanzern und einem Flugabwehrsystem nachzog. Das Frankreich auch andere Partner im Auge hat, zeigen die Freundschaftsverträge mit Italien von 2021 und Spanien Anfang dieses Jahres.

Die Enttäuschung lediglich auf persönliche Verstimmungen zurückführen zu wollen, würde zu kurz greifen und die Entfremdung ist wie camerade Jacob Ross von der DGAP schreibt „längst nicht nur ökonomisch und medial messbar“. Das geringe Interesse in den Bundesministerien an einer Ausbildung an der ENA und jetzt dem INSP passe da ins Bild. Zu Recht fordert Ross eine „neue Erzählung“ für die deutsch-französischen Beziehungen. Hoffnungen setzt er darauf, dass die „europäische Souveränität“ in diesem Sinne ausbuchstabiert wird: https://internationalepolitik.de/de/neues-fundament-fuer-die-deutsch-franzoesische-freundschaft

Nur zu hoffen ist also, dass nunmehr ein ernsthafter Neubeginn versucht wird, der an alte Zeiten anknüpft. Zahlreiche Themen warten darauf, gemeinsam vorangebracht zu werden. Gewichtigen Fragen stellen sich beispielsweise in der Rüstungs- sowie der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Nötig wäre es auch, angesichts zentrifugaler Tendenzen den deutsch-französischen Motor für die EU wieder auf Touren zu bringen, wobei die Vorstellungen auch der mittel- und osteuropäischen Mitglieder stärker berücksichtigt werden sollten. Bilateral wäre ebenfalls stärker noch als bisher an ein gemeinsames Vorgehen zu denken. Nur als Beispiele genannt seien die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, aber auch die Kulturpolitik. So könnte bei der Restitution von Kulturgütern aus der Kolonialzeit voneinander gelernt und gemeinsam vorgegangen werden.

Ein wortreiches Jubiläum

Zum 60. Jubiläum des Elysée-Vertrags fand am 22. Januar eine Festveranstaltung mit Vertretern von Parlamenten und Regierungen im prunkvollen „Grand Amphitheatre“ der Sorbonne – dem Ort auch der großen Europarede von Staatspräsident Emmanuel Macron im Jahre 2017 – statt. Die Veranstaltung war der Höhepunkt zahlreicher Aktivitäten im Umfeld des Jahrestags. Der Ort bot außer einem prachtvollen Rahmen, an den nicht einmal entfernt in einer deutschen Universität gedacht werden kann, die Möglichkeit geistreicher Bezugnahmen auf alte Zeiten und große Gelehrte, dies vor allem auf französischer Seite: Eine nähere Bekanntschaft mit dem Werk des großen Romanisten Ernst Robert Curtius ist wohl in Deutschland nicht mehr ohne weiteres selbstverständlich.

Tief in die Geschichte holte Parlamentspräsidentin Yael Braun-Pivet aus und die Präsidentin des Bundestages Bärbel Bas betonte angesichts der Umstände den Frieden als aktuelles Thema. Bundeskanzler Olaf Scholz („cher Olaf“) nannte große Politiker, zitierte Jahreszahlen, Rousseau und Kant, ehe er auf die aktuelle Politik zu sprechen kam. Hier fiel dann der für französische Ohren so wohlklingende Begriff eines „souveränen, geopolitischen Europas“, das im Osten bis zur Ukraine, nach Moldau und Georgien, reiche. Die deutsch-französische Zusammenarbeit in der EU wurde als „Kompromissmaschine“ und das Verhältnis letztlich als „geschwisterliche Zuneigung“ beschrieben. Noch weiter ging Macron („Lieber Emmanuel“) der Deutschland und Frankreich als „deux âmes dans une même poitrine“ sah. Er forderte beide Länder mehrfach auf, zu Pionieren zu werden für eine Wiedergründung („refondation“) Europas auf den Gebieten von Energie, Industrie, Innovation und Technologie, als geopolitische Macht und zum Schutz seiner inneren Werte.

Verabschiedet wurden anschließend zwei separate Erklärungen, die eine von den Regierungen, die andere den Parlamentspräsidentinnen. Leider war trotz unserer Interventionen in Bundeskanzleramt und Bundestag und des erheblichen Umfangs (9 bzw. sogar 20 dicht beschriebene Seiten, während der Vertrag von 1963 mit einem aufgelockerten achtseitigen Text auskam) offenbar kein Raum für unser Anliegen der Förderung der deutsch-französischen Studiengänge im Allgemeinen und des INSP im Besonderen. Anders sah dies beispielsweise bei den deutsch-französischen Kindertagesstätten aus.

https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975228/2159710/9151f338206865e51c87e214e848d93a/2023-01-22-dfmr-kommunique-data.pdf?download=1

https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw03-elysee-929442

Nur unterstützt werden kann das in beiden Erklärungen festgehaltene Anliegen einer Verbesserung der Zugverbindungen Berlin-Paris, nachdem Samstag/Sonntag die meisten ICE-Verbindungen wetterbedingt kurzfristig gestrichen worden waren. Zum Glück verkehrten die TGV planmäßig, was wieder einmal eine französische Überlegenheit bei Infrastruktur und Daseinsvorsorge zeigt.

Ansonsten enthalten die beiden Erklärungen – in Vielem übereinstimmend, bei aber unterschiedlicher Gewichtung und Reihenfolge – Absichtserklärungen zu
Sicherheit und Verteidigung (einschließlich Raumfahrt; merkwürdigerweise werden unter dieser Überschrift auch die EU-Erweiterung und eine „Partnerschaft mit Afrika“ abgehandelt);
Energie, Umwelt, Klima, Biodiversität und Industrie (einschließlich Kapitalmarktunion und Schritten zur Bankenunion, Digitalisierung, Finanzpolitik, Ernährung);
Handlungsfähigkeit der EU (sehr vorsichtige Offenheit für Vertragsrevision „falls nötig“ unter der Voraussetzung eines „Konsens zwischen den 27 Mitgliedstaaten“, mehr Mehrheitsentscheidungen über Passerelleklauseln und konstruktive Enthaltung, EP-Wahlrecht mit transnationalen Listen, Aktualisierung der Grundrechtecharta, Bürgerbeteiligung, Freizügigkeit in der gesamten EU, „Vollendung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“);
bilateraler Partnerschaft (grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Hochgeschwindigkeits-Bahnverbindung zwischen Paris und Berlin, Lob für ARTE, Bekämpfung hybrider Bedrohungen, Fonds für Provenienzforschung, Förderung von Fußball-Europameisterschaft und Olympiade 2024 unter den Gesichtspunkten (wörtlich) „Nachhaltigkeit, verantwortungsbewusstes staatliches Handeln, ökologisches, soziales, wirtschaftliches und bürgerschaftliches Verantwortungsbewusstsein, Inklusion, Geschlechtergerechtigkeit und Toleranz“; unter diesen Gesichtspunkten winkt hoffentlich die Goldmedaille).
Insgesamt wirkt die Erklärung der Regierungen mit ihren neun eng beschrieben Seiten sehr detailverliebt und wenig politisch, ohne aber allzu konkret zu werden. In Manchem liest sie sich wie ein Koalitionsvertrag, was ja nicht unbedingt etwas Schlechtes sein muss.

Der Winter wird heiß

Nicht nur meteorologisch, auch politisch kann in Frankreich für Januar angesichts der von Staatspräsident Emmanuel Macron geplanten Reformen ein Temperaturanstieg erwartet werden. Viele der aktuellen politischen Themen entsprechen der deutschen Diskussion.

In einem zweiten Anlauf geht es jetzt wieder um eine Rentenreform, mit der schon ab diesem Jahr das Renteneintrittsalter schrittweise bis 2030 von heute 62 auf 64 Jahre erhöht werden soll. Voraussetzung für eine ungeschmälerte Rente sollen 43 Beitragsjahre werden. Um die Empörung über diese Zumutung etwas zu mildern, wird bereits zum September die Mindestrente auf 1.200 Euro – etwa 85% des Mindestlohn SMIC – erhöht. Die Aussichten für das Gesetzesvorhaben sind angesichts einer fehlenden parlamentarischen Mehrheit ungewiss. Von rechts wie links wird die Reform kategorisch abgelehnt und die Républicains sind gespalten. Am 19. Januar jedenfalls zeigten die Gewerkschaften in seltener Eintracht mit einem großen Streik, was sie von der Reform halten – nämlich nichts.

Zum 1. Februar soll eine Reform der Arbeitslosenversicherung in Kraft treten. Danach soll künftig die Dauer der Arbeitslosenunterstützung von 24 auf 18 Monate verkürzt werden. Innovativ ist die Kürzungsmöglichkeit je nach Höhe der Arbeitslosenquote: Wenn diese auf über 9% steigt, bleibt es bei der bisherigen Regelung.

Auch im Gesundheitswesen rumort es: Die Versorgung durch die Kliniken steht unter Druck und die Hausärzte streiken schon seit Dezember. Eine Rede des Staatspräsidenten, in der er ein „Reorganisation“ und längere Arbeitszeiten empfohlen hat, konnte die Lage erwartungsgemäß nicht beruhigen. Angesichts der Überlastung des Gesundheitssystems hat Staatspräsident Macron einen neuen „Gesundheitsplan“ angekündigt. Das Thema steht auch im von ihm geschaffenen Conseil national de la refondation an.

Um den Kaufkraftverlusten entgegenzuwirken, erhalten 10 Mio. einkommensschwache Haushalte eine Tankprämie in Höhe von 100 Euro und der Umweltbonus für Elektroautos wird für solche Haushalte auf 7.000 Euro. Angehoben.

Im Januar wird in der Nationalversammlung über ein Gesetz über erneuerbare Energien abgestimmt und in den Senat wird ein Gesetzesentwurf zum Ausbau der Atomenergie eingebracht, mit dem bis 2050 die CO2-Neutralität erreicht werden soll. Staatspräsident Emmanuel Macron hat dazu im Wahlkampf den Bau von sechs neuen Reaktoren angekündigt.

Migrationspolitisch von Interesse ist die geplante Aufenthaltserlaubnis für „angespannten Berufsfelder“ sowie die obligatorische Ausweisung bei einer Gefängnisstrafe von über zehn Jahren.

Mit der „Revue“ ins Herz französischer Lebensart

In kurzem Abstand sind zwei neue Ausgaben der „Revue Servir“ erschienen: Dem urfranzösischen Thema „La gastronomie“ widmet sich die Nr. 518, die von Marie-Christine Armaignac (Léonard de Vinci 1985) liebevoll betreut wurde. Marie-Christine war auch bei unserem Mitgliederversammlungs-Wochenende in Berlin dabei. Die Ausgabe Nr. 518 enthält dann eine Vielzahl von „Regards sur 2022“.

Das Gastronomie-Heft ist eine wahre Fundgrube und darüber hinaus ein großes Vergnügen – nicht nur für Feinschmecker. Das Thema wird unter allen denkbaren Aspekten ausgeleuchtet, historisch, kulturell, politisch, sozial und literarisch. Praktische Hinweise, zum Beispiel auf die Librairie Gourmande (92 rue Montmartre in 75002 Paris) mit ihren mehr als 20.000 Bänden, runden das Heft ab. Vorgestellt werden können im Folgenden leider nur einzelne Beiträge.

Bereits im Vorwort geht président Daniel Keller in feinsinnigster Weise dem Gedanken nach, ob die angesichts der verschiedenen Krisen angezeigte sobriété nicht Ausdruck des Bedürfnisses nach moralischer Erneuerung sei, das die Gesellschaften regelmäßig ereile. Er erinnert in diesem Zusammenhang an reformatorische Nüchternheit, die Ausdruck einer geistige Revolution gewesen sei (Bemerkenswert, dass man im Heimatland der Reformation bislang auf diesen interessanten Gedanken, der aktuelle Debatten in einen größeren Zusammenhang stellt, noch nicht gestoßen ist). Keller schließt mit der Überlegung, ob die Aufrufe zu Sparsamkeit nicht vielleicht dazu führten, „de réchauffer les coeurs et d’énlever les esprits indépendamment du degré de température affiché au thermomètre!“.

In ihrer Einführung zitiert Marie-Christine Armaignac den Oxford-Historiker Theodore Zeldin, der in seiner fünfbändigen „History of French Passions“ die „plaisirs de la table“ zu den glücklichen nationalen Leidenschaften zählt, die sich parallel zur politischen Entwicklung des Landes entwickelt haben. In einem Interview mit Olivia Grégoire, der delegierten Ministerin für die PME, wird die französische Gastronomie als Trumpf für den Einfluss Frankreichs im Ausland angesprochen. Aufgegriffen wird damit – bei einem Kabinettsmitglied naheliegend – eine von Staatspräsident Emmanuel Macron bei der Botschafterkonferenz am 1. September 2022 ausgegeben Losung. Dabei nannte Macron die gastronomische in einem Atemzug mit der wirtschaftlichen, kulturellen und sportlichen Stärke Frankreichs. Die aktuellen Probleme der Branche gleichen indes denen in Deutschland: 60% der Wirte klagen über Personalmangel, es fehle nicht an Gästen, sondern am Personal. Die Einordnung der französischen Küche als UNESCO-Weltkulturerbe im Jahre 2010 hilft somit nicht über alle Schwierigkeiten hinweg.

Faszinierend ein Interview mit dem langjährigen Chefkoch des Elysée, Guillaume Gomez, der 2021 zum „Représentant personel du président de la République auprès des acteurs et résaux de la gastronomie et de l’alimentation“ (ein Titel, so lang wie das 950-Euro-Silvestermenu des Pariser Pré Catalan), der auf Umsätze der mit dem Tourismus verbundenen Gastronomie von 100 Mrd. Euro verweist. Offen bekennt er sich zu „einer Art von Hegemonie“, die auch von anderen Ländern mit großer gastronomischer Tradition (genannt werden Italien, Libanon und Israel, Deutschland wird nicht erwähnt) geschätzt werde.

Wie es sich in Frankreich gehört, wird das Thema zunächst historisch aufgearbeitet: Schon 1765 eröffnete in Paris das erste Restaurant moderner Art, dem bald unter den Arkaden des Palais Royal weitere, wo sich heute noch das Grand Véfour befindet, folgten. Denis Saillard skizziert in seinem Artikel die Entwicklung über die Zeiten des Empire und der Restauration, das Second Empire mit seinen Restaurants für alle Schichten – den Grand Hotels, Brasserien und einfachen Bouillons – bis hin zur Belle Epoque, für die die Brasserie Mollard (115, rue St. Lazare) im Art Nouveau-Stil hervorgehoben wird.

Geographieprofessor Jean-Robert Pitte, immerhin Membre de l’Institut, zählt die auch literarisch von Autoren wie Brillat-Savarin geprägten ultimes raffinements der französischen Gastronomie zu den schönen Künsten. Zugeben muss er allerdings, dass heute die Speisen nach dem vom russischen Botschafter Fürst Alexander Kurakin in Paris eingeführte service à la russe nacheinander aufgetischt werden. Literarisch ausbuchstabiert wird das Thema im Beitrag von Jacques Letertre anhand des Werks von Marcel Proust.

Der langjährige Chef du Protocole de la République Laurent Stefanini führt den Leser ebenfalls tief in die Vergangenheit und spannt den Bogen von den Festmählern, die König Franz I. seinem gekrönten Kollegen Heinrich VIII. von England im Juni 1520 gegeben hat, bis zum déjeuner exceptionnel für 157 Staats- und Regierungschefs anlässlich der Pariser Weltklimakonferenz im November 2015. Das „Goldene Zeitalter“ der diplomatie à table war indes das lange 19. Jahrhundert. Mit dem Multilateralismus der Nachkriegszeit und seinen zahlreichen Anlässen habe sich auch gastronomisch die Welt gewandelt und gesunde Ernährung, Nachhaltigkeit aber auch religiöse Gebote sind nunmehr zu beachten. Nachgelesen werden kann dies alles in dem von Stefanini herausgegebenen Buch „A la table des diplomates“.

Auch die Truppenverpflegung gehört zur gastronomie francaise. Nicht ohne Hintersinn ist im Artikel von Nathalie Tournyol du Clos zu lesen, dass während des Einsatzes in Afghanistan von Amerikanern fünf eigene Rationen gegen eine französische eingetauscht wurden.

Die Gastronomie stellt im politisch und kulturell ansonsten streng zentralistischen Frankreich eine große Ausnahme dar: Gilles Pudlowski zeichnet weit über die klassische Unterscheidung zwischen dem Frankreich der Butter und des Olivenöls ein vielfältiges Bild historisch gewachsene regionaler Besonderheiten. Kritische Stimmen werden indes nicht ausgespart. So weist Faustine Régnier auf den Klassencharakter der gehobenen modernen Küche hin, die sich nicht jeder leisten könne.

Auch der Rückblick auf das vergangene Jahr im nächsten Heft eröffnet mancherlei Perspektiven. Ein Schwerpunkt dabei ist natürlich der Russisch-Ukrainische Krieg, aber auch viele andere Fragen, die das Jahr geprägt haben, werden abgehandelt.

Patrice Cahart stellt die Frage, ob nicht in Verhandlungen Konzessionen gegenüber Russland gemacht werden sollten. Alternative wären 10 oder 15 Jahre Kalter Krieg bis zum Tod Putins. Er nennt dabei die Anerkennung der Annexion der Krim und der Gebiete von Luhansk und Donezk, einen Verzicht auf eine NATO-Mitgliedschaft (bei bewaffneter Neutralität wie die Schweiz) und auf einen EU-Beitritt der Ukraine sowie die Inbetriebnahme von Nord Stream 2. Im Gegenzug müsste Russland sich auf die Linien vom Januar 2022 zurückziehen. Dem Autor erscheint dies indes kaum realistisch, was die Frage aufwirft, was dann die Gegenleistung für die Konzessionen wäre.

Der bereits in früheren Ausgaben der „Revue“ anklingende, zumindest zweifelnde, Unterton gegenüber dem „deutschen Modell“ wird auch im Beitrag von David Helm angeschlagen. Er stellt fest, dass Deutschland sich an einem Scheideweg befinde. In der Vergangenheit sei es für die Bundesrepublik ein Leichtes gewesen, den Atlantiker zu geben, sich ansonsten aber von Operationen der Alliierten fernzuhalten. Deutschland habe geglaubt, dass geopolitische Logik mit der Globalisierung verschwunden sei. Deutschland stehe vor der Wahl, mit einem „neutralisme moralisateur doublé de mercantilisme“ weiter zu machen. Anzeichen dafür seien der Besuch des Bundeskanzlers in Peking und ein – verglichen mit der Wirtschaftsleistung – Minimum an Waffenlieferungen an die Ukraine. Helm sieht die innenpolitischen Schwierigkeiten des Kanzlers, allerdings auch den Beginn eines Umdenkens angesichts der geopolitischen Herausforderungen. Um wieder Glaubwürdigkeit zu gewinnen, sei eine Stärkung der Streitkräfte „tant sur un plan matériel que doctrinal“ notwendig. Hier setzt der Autor indes Fragezeichen. So kritisiert er, dass Deutschland als „cavalier seul“ sich nicht um europäische Solidarität kümmere und eher atlantisch denke. Aufgezählt werden hierzu die Beschaffung von US-Kampfflugzeugen und das in der Prager Rede des Bundeskanzlers angekündigte Luftverteidigungssystems. Bei dieser Gelegenheit werden dann auch gleich deutsche Bemühungen, die Atomenergie in der EU-Taxonomie schlecht zu machen, und das Hilfspaket von 200 Mrd. Euro aufgezählt. Frankreich wird vom Autor freundlicherweise aufgerufen, Deutschland mit Verständnis auf einem sich möglicherwiese abzeichnenden neuen Kurs zu begleiten.

Bemerkenswert weiter eine Tour d’horizon zur Geopolitik von Pierre Grosser, dem Sohn von Alfred. Seit Mitte der 2010er Jahre hätten amerikanische und französische Strategieexperten (anscheinend keine deutschen, Anm. d. Red.) die Wiederkehr der Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten auf dem Schirm: Problem seien nicht länger terroristische Gruppen oder etats voyous, sondern Kräfte, die die bisherige regelbasierte Weltordnung in Frage stellten. Russland und China gäben sich nicht länger mit „hybriden“ Auseinandersetzungen zufrieden. Die Geschichte der vergangenen Jahrzehnte stehe in Frage und die Zusammenarbeit mit Russland und der Volksrepublik China habe sich als strategische Fehler erwiesen. Die neue Geschlossenheit des Westens verstehe sich indes nicht von selbst. Teile der öffentlichen Meinung griffen das Narrativ auf, nach dem das Vorgehen von Russland und China nur eine Reaktion auf eine US-Dominanz seit dem Ende des Kalten Krieges sei, das doppelte Maßstäbe kritisiere und ein Ende der westlichen Vorherrschaft fordere. Innenpolitisch fänden rechts und links in der Faszination für „starke Männer“ und dem Kampf gegen den aus den USA kommenden Wokismus zusammen.

Kritisch sieht der Autor die Wirkungen der Sanktionen für die eigene Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Weltwirtschaftsordnung. Zahlreiche Staaten des „Südens“ – wie die Türkei, Indien, Vietnam, Iran, Golfstaaten – profitierten auf die einen oder anderen Weise von der Auseinandersetzung. In Frage gestellt werden könnte die neue Geschlossenheit des Westens durch politische Veränderungen in den USA, nach denen andere Staaten sich nicht unbedingt vor den Karren der „Falken“ in Washington spannen lassen wollten. Die Zukunft ist für den Autor eher düster. Er befürchtet Entwicklungen wie in den Dreißigerjahren mit Auseinandersetzungen der Großmächte, politischem Streit und weltwirtschaftlicher Zersplitterung.

Nach diesen ungemütlichen Aussichten bietet die „Boite à livres“ etwas Entspannung. Vom unverwüstlichen Robert Chelle werden fünf Bücher von „Ehemaligen“, darunter zwei Romane (einer davon von Jacques Attali), vorgestellt. Die von der ENA geforderte culture génerale lebt also.

Französisch – nein danke?

Die Nachfrage nach Französisch an den deutschen Schulen hat nach einer AFP-Meldung einen traurigen Tiefstand erreicht: Im Schuljahr 2021/2022 haben nurmehr 1,29 Millionen von insgesamt 8,44 Millionen Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen, also 15,3%, diese Sprache gewählt. 2009/2010 waren es noch 1,7 Millionen (19,1%). Am Besten sieht es in den an Frankreich grenzenden Ländern im Südwesten aus, wo das Saarland mit 51,2% den Spitzenplatz einnimmt und auch Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg bei etwa 25% liegen. Bedenklich sind dagegen die 11,5% in NRW, das immerhin mit Belgien an ein französischsprachiges Nachbarland grenzt. Also viel zu tun für die neue Kulturbevollmächtigte Anke Rehlinger.

“Regard franco-allemand sur la crise énergétique”
am Institut National du Service Public in Straßburg

Unser Mitglied Edda Müller berichtet von einer Veranstaltung in Straßburg, zu der uns der Alumniverein des deutsch-französischen MEGA- Programms eingeladen hatte.

„Am 24. November nahm ich an einer Podiumsdiskussion zur europäischen Energiepolitik am INSP in Straßburg teil. Podiumsteilnehmer waren mit mir Prof. Dr. Michel Deshaies, Université de Lorraine sowie France Pompey, Deutsche Energie-Agentur. Marie Augère von der Stiftung Genshagen moderierte die Diskussion. Thema waren die durch den russischen Angriff auf die Ukraine verursachten Probleme der Energieversorgung in der EU und insbesondere in Deutschland und Frankreich, deren Einfluss auf die EU-Klimapolitik sowie die Bedeutung der regionalen Zusammenarbeit in der Grenzregion zwischen Frankreich und Deutschland.

Anlass der Veranstaltung war die Durchführung des Moduls 3 des deutsch- französischen MEGA- Programms am INSP. MEGA steht für die Ausbildung zum „Master of European Governance and Administration“. Teilnehmer sind künftige Führungskräfte des öffentlichen Sektors vor allem aus Deutschland und Frankreich. Die Ausbildung findet im zweijährigen Turnus in 4 Modulen an der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne, Universität Potsdam, INSP (ehemals ENA) sowie der Humboldt-Universität zu Berlin statt. Beteiligt ist außerdem die Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Der akademische Grad Master wird nach Abschluss des Studiums als Joint Degree verliehen. Das Rekrutierungsverfahren wird für die Teilnehmer mit Wohnsitz in Frankreich am INSP und für die Bewerber mit Wohnsitz in Deutschland an der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung durchgeführt: www.mega-master.eu. Das Bewerbungsverfahren für den 11. Lehrgang 2022/23 ist bereits abgeschlossen.

Eingeladen zur Podiumsdiskussion am INSP hatte der MEGA Alumni Verein. Nach der Durchführung von 10 Jahrgängen gibt es etwa 180 Alumni. Etwa 40 gehören derzeit dem Alumni Verein an. Eine Kooperation mit dem Verein bei der Durchführung von Veranstaltungen, oder sonstigen Aktivitäten erscheint mir erwägenswert. Ich habe den Eindruck, dass das MEGA Programm im Vergleich zu unserem ENA/INSP Programm für aktive junge Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen deutscher Ministerien und Behörden attraktiv ist. Es scheint vom Bundesministerium des Innern und für Heimat besonders unterstützt zu werden. Vom BMIH werden die Studiengebühren der deutschen Teilnehmer übernommen. Ansprechpartnerin beim Alumni Verein ist die derzeitige Präsidentin Marianne Koszul.“

Von Frankreich lernen

Andreas von Mettenheim erinnert sich: „Vor einiger Zeit hatten wir zusammen mit dem damaligen französischen Botschafter Philippe Etienne die Schlossbaustelle besucht. Geführt hatte uns der Initiator des Projekts, Wilhelm von Boddien. Jetzt hat Boddien seine Geschichte des Projekts publiziert. Gerade im Kontext der deutscher Geschichtsbefindlichkeiten spielte auch das Deutsch-Französische eine Rolle. Von Boddien hatte bei einem Paris-Besuch die restaurationsbedingte Verhüllung der Kirche La Madeleine gesehen und war davon so angetan, dass er die dafür verantwortliche französische Künstlerin Catherine Feff für die Gestaltung der Schlosssimulation in Berlin gewinnen konnte, Er wollte damit auch dem Argument der Schlossgegner, mit der Wiedererrichtung des Hohenzollernschlosses brüskiere man das Ausland, entgegenwirken. Das Ergebnis konnte sich jedenfalls sehen lassen und die Schützenhilfe hat gewirkt. Von Boddien berichtet darüber jetzt in seinen Erinnerungen: „Fest steht, dass das Schloss ohne die Simulation niemals wiederaufgebaut worden wäre.“ Trotz der Steine, die ihm in den Weg gelegt wurden, bleibt der Autor im Ton höflich und gelassen, oft mit einem Schuss Humor und feiner Ironie. Auch für diejenigen, die dem Projekt kritisch gegenüberstanden oder noch stehen, ist das „Abenteuer Schloss“ eine spannende und kurzweilige Lektüre.“

Wilhelm von Boddien, Abenteuer Berliner Schloss, Erinnerungen eines Idealisten. Berlin 2022 (Verlag Wasmuth & Zohlen, 24,80 Euro)

Aus dem Mitgliederkreis

Zum Jahresende eingetreten ist Claus Munkwitz (Promotion Henri-Francois d’Aguessaeu 1980/81). Munkwitz lebt in Ludwigsburg und war bis zu seinem Ruhestand Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Stuttgart und anschließend Mitglied des Normenkontrollrats Baden-Württemberg, dessen Auflösung zum Jahresende für Schlagzeilen in der Landespresse geführt hat.

Erfreulich ist, dass mit feinem Sinn für Symbolik pünktlich zum 60. Jahrestag die frischgebackenen Absolventen von ENA/INSP Paul van Odijk und Nicolas Rudolph (Promotion Germaine Tillon 2021/22), die sich schon bei der Mitgliederversammlung bekanntgemacht haben, der Gesellschaft beigetreten sind.

Ansonsten wogt der Kampf um den Sitz im Verwaltungsrat von „Servir“. Als weiterer Interessent haben sich Marc van Ravels aus den Niederlanden und Daniel Pejko für die Slowakei gemeldet.

Am 6. Februar wird in Paris vom früheren Premierminister Jean-Pierre Raffarin und der Fondation Prospective et Innovation die französische Übersetzung der politischen Erinnerungen von Joachim Bitterlich unter dem Titel „Le passeur“ vorgestellt. Die deutsche Ausgabe haben wir in unserem „Forum“ Nr. 4 am 14. Mai 2021 besprochen.

Im Rahmen von Gesprächen von Vorstandsmitglied Ralf Schnieders im Quai d’Orsay und im Ministère de la Transformation et de la Fonction publiques zur Vorbereitung des für Juli geplanten großen Kolloquiums der europäischen Vereinigung fand am 25. Januar im „Chez Françoise“ am Aerogare des Invalides ein Abendessen mit 15 in Paris ansässigen Mitgliedern, darunter dem Gesandten Martin Schäfer, statt.

Auf den Spuren der Pointillisten: „Holger Bär 11.500.000 Punkte“

Noch bis 18. Februar 2023 zeigt die Berliner Galerie Deschler (Auguststraße 61 in 10117 Berlin) Werke von Holger Bär, die dem französischen Impressionismus und vor allem dem Pointilismus eines Georges Seurat verpflichtet sind. Hauptwerk der Ausstellung ist ein 3 x 4 Meter messendes, vierteiliges Gemälde eines Seerosenteichs, zusammen mit den ebenfalls ausgestellten Portraits von Monet, eine Verbeugung vor dem großen Impressionisten. Das, was die Impressionisten eher intuitiv erkannt haben, setzt Bär mit computergesteuerten Malmaschinen mit acht Grundfarben und selbst entwickelten Algorithmen Farbflecken auf der Leinwand um.