Berlin, 12. Februar 2024

„L’existence d’une nation
est un plébiscite de tous les jours.“

Ernest Renan (1882)

Liebe Mitglieder,

recht eigentlich als Gegensatz zur Stoik des Bundeskanzlers wirkt die Unerschrockenheit des französischen Staatspräsidenten, wenn es darum geht, scheinbar Unverrückbares in Frage zu stellen. So interpretierte er die berühmte Laizität des französischen Staates mit seiner Anwesenheit bei einer Papstmesse im Marseille und beim Anzünden des Chanukka-Leuchters im Elysée-Palast neu. Auch in der Auseinandersetzung mit dem Thema Kolonialismus hat der Staatspräsident, wenn auch möglicherweise noch nicht mit letzter Konsequenz, Neuland betreten. Vielleicht steht er mit seinem beherzten Vorgehen, das Tabus nicht scheut, in der Tradition der französischen Aufklärung mit ihrer Forderung „Ecrasez l’infâme“. Nicht alle in Frankreich wissen dies zu würdigen und kritisieren zumindest den Stil des Staatspräsidenten. Welchem seiner Vorgänger ist es indes nicht so ergangen, haben sie doch nach dem berühmten Wort von Charles de Gaulle ein Land mit 246 Käsesorten zu regieren?

Über mancherlei Symbolik hinaus, bewies der Staatspräsident Tatkraft mit einem – allerdings in höchstem Maße umstrittenen – Einwanderungsgesetz, einer Regierungsumbildung und dem Aufruf vor 200 Journalisten und 9 Millionen Fernsehzuschauern bei einem „Rendezvous mit der Nation“ Mitte Januar zu einem „réarmement civique“. Mit einer Vielzahl von Maßnahmen soll die Gesellschaft nun, beginnend beim Staatskunde- und Literaturunterricht für Kinder und Jugendliche, „aufgerüstet“ werden. Ob es hier tatsächlich nur um „Stimmenfang im rechten Lager“ geht oder um eine Politik, die mit dem Betrachten der Wirklichkeit beginnt, wird sich weisen. Damit nicht genug politischer Initiativen, unterstützte Macron Tags darauf beim WEF in Davos den Vorschlag von Eurobonds zu Rüstungszwecken und forderte eine Kapitalmarktunion, wobei er zugleich die Möglichkeit andeutete, dafür notfalls von der „verstärkten Zusammenarbeit“ Gebrauch zu machen.

Die aktuelle, vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) festgestellte Stärke der französischen Wirtschaft – auch im Vergleich zur deutschen – und ihre Anziehungskraft für ausländische Investoren ist ein weiterer Leistungsausweis für den Staatspräsidenten:
https://www.diw.de/en/diw_01.c.889165.en/nachrichten/is_france___s_economy_now_stronger_than_germany___s.html .

In wenigen Wochen beginnen nun die „Olympischen Spiele“ in Paris, das weltweite Großereignis des Jahres 2024, während Deutschland nur mit der Fußball-Europameisterschaft EURO 2024 aufwarten kann.

Einen tiefen Eindruck hinterließ Macron zuletzt mit seiner, in großen Teilen auf Deutsch gehaltenen Ansprache bei der Trauerfeier für Wolfgang Schäuble im Bundestag. Deutlich wird hier sein großes Vorbild: Unwillkürlich kamen da Erinnerungen an die berühmte Rede von Charles de Gaulle, auch wenn das nüchterne Grau des Berliner Plenarsaals natürlich keinen Vergleich mit der barocken Pracht des Ludwigsburger Schlosses zulässt. Vielleicht auch dies aber ein Symbol.

Table de matières

Kulturbevollmächtigte schreibt an Chefs der Staatskanzleien2
Videokonferenz mit David Cvach am 11. Januar3
„Beste Feinde“ am 25. Januar3
Dringlichkeitsappell von Joachim Bitterlich3
Rencontre franco-allemande am 18. März in Paris4
„Drei auf einen Schlag“4
Tübingen im deutsch-französischen Fieber6
Aus dem Mitgliederkreis6
„Les aveuglés“7
„Deutsch-französischer Nach- und Aufruf“8
Zum Tod von Alfred Grosser9
Es tut sich was am Oberrhein10
Berichtigung11
Deutsch-französische Agenda11
Der „Figaro“ auf Youtube12
„La diagonale du vide“12
Die Pariser Jahre des Paul Strecker12
A ne pas manquer13

Kulturbevollmächtigte schreibt an Chefs der Staatskanzleien

Bereits im vergangenen Jahr hatten wir die neu berufene Deutsch-Französische Kulturbevollmächtigte, Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, gebeten, sich im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz dafür einzusetzen, dass künftig wieder mehr Länderbedienstete ans INSP entsandt werden. Am 3. Januar hat Frau Rehlinger nun die Chefs/Chefinnen der Staats- und Senatskanzleien angeschrieben und auf die Ausbildungsangebote am INSP hingewiesen und dabei die „Vorteile der Entsendung von Staatsbediensteten an das INSP“ betont. Reaktionen aus den Ländern sind bislang noch nicht bekannt geworden.

Videokonferenz mit David Cvach am 11. Januar

Unsere Mitglieder hatten am 11. Januar Gelegenheit, an einer Videokonferenz mit David Cvach, Promotionskollegen unseres Vorstandsmitglieds Ralf Schnieders und Europadirektor am Quay d’Orsay, über „L’actualité européenne et les grands débats à venir“ teilzunehmen.


„Beste Feinde“ am 25. Januar

Zur Jahreswende wurde in zahlreichen Blättern das deutsch-französische Verhältnis kritisch kommentiert. So titelte die FAZ über Bundeskanzler und Staatspräsident „Sie bleiben sich merkwürdig fremd“, die „Welt“ stellte „Enttäuschung in Paris“ fest und die Frankfurter Rundschau rätselte über „Das Enigma im Elysée“. Vor diesem Hintergrund hatten wir am 25. Januar in der baden-württembergischen Landesvertretung eine Doppelveranstaltung mit der Vorstellung des Buchs „Beste Feinde“ des früheren Deutschlandradio-Programmdirektors und Autors zahlreicher historischer Werke, Günter Müchler, und unserem Vorstandsmitglied Joachim Bitterlich organisiert. Die über 50 Teilnehmer, darunter auch viele Mitglieder des „Deutsch-Französischen Wirtschaftskreises“, zeigten das nach wie vor große Interesse an dem Thema. Nachdem der Autor das wechselhafte Verhältnis der Nachbarn historisch über vier Stufen mit einer ab 1871 gegenseitigen „Erbfeindschaft“ skizziert hatte, die dann nach dem Weltkrieg überwunden wurde, ging es in der Diskussion um den aktuellen Stand der Beziehungen. Übereinstimmend wurden mangelndes Interesse, wenn nicht Sprachlosigkeiten, diagnostiziert und politische Führungskraft vermisst. Zugleich wurde aber darauf aufmerksam gemacht, dass das heutige, größere Europa sich anderen Herausforderungen zu stellen habe, als das der Sechzigerjahre. Wir werden das Thema im Laufe des Jahres vertiefen. Wichtige Anregungen dazu enthält das Papier von Joachim Bitterlich (siehe nachfolgend).


Dringlichkeitsapell von Joachim Bitterlich

In einem „Brief“ der Fondation Robert Schuman vom 18. Dezember 2023 hat unser Vorstandsmitglied Joachim Bitterlich zehn Prioritäten („urgences„) für die deutsch-französische Zusammenarbeit in EU-Fragen skizziert.

Angefangen mit einer Modernisierung des Binnenmarkts, geht es ihm dabei um die Forschungspolitik, wobei er an das 1985 ins Leben gerufene Eureka-Programm erinnert, eine gemeinsame Energiepolitik, für die an die Montanunion angeknüpft werden könnte, und eine Bankenunion mit einem „Europäischen Währungsfonds“. Weitere Themen sind ein Zeitplan für Schritte in der inneren Sicherheit, die Bewältigung außenpolitischer Herausforderungen in Europa, dem Nahem Osten und in Afrika, ein „neuer transatlantischer Pakt“ sowie die Verteidigungspolitik (u. a. mit Generalstab und Militärakademie, einer „gemeinsamen Armee der europäischen Nationen“ und einer europäischen Rüstungsindustrie). Für die die Beschlussverfahren nach der Erweiterung regt Bitterlich eine Orientierung am Gedanken des „Luxemburger Kompromisses“ und einen „Europäischen Senat“ aus Mitgliedern der nationalen Parlamente an.

Insgesamt ein hoch ambitioniertes Programm, das darauf wartet, von der Politik energisch in die Hand genommen zu werden. Was würde dazu, lange vor dem Brexit, William Shakespeare den Zweiflern sagen: „Come, for I have learned, anxious deliberation / Be sleepy delay, a lead servant.“

https://www.robert-schuman.eu/fr/questions-d-europe/731–les-dix-urgences-franco-allemandes-pour-l-europe


Rencontre franco-allemande am 18. März in Paris

Auf Initiative von Françoise Klein und Marie-Christine Armaignac entsteht in Paris derzeit ein deutsch-französisches Alumni-Netzwerk. Eine Auftaktveranstaltung mit unserem Mitglied Martin Schäfer ist für 18. März im „Hôtel Beauharnais“ geplant.


„Drei auf einen Schlag“

Drei – unter verschiedenen Aspekten – nicht ganz einfachen Themen widmen sich die aktuellen Ausgaben der Revue „Servir“. Sie befassen sich dem hohen Alter, der Wiederkehr des Krieges und der Region Hauts-de-France.

Um mit dem vielleicht Unbekanntesten zu beginnen: Die „Hauts-de-France“ liegen nicht im Hochland, sondern in den auf den Ärmelkanal zulaufenden weiten Ebenen mit den Schlachtfeldern der Weltkriege. 2016 wurden sie in typisch französischer Art und Weise auf dem Reißbrett durch die Zusammenlegung der bisherigen Regionen Nord-Pas-de-Calais und Picardie mit der Hauptstadt Lille geschaffen. Das Heft schreibt von der „situation géographique au coeur de grands axes européens„, was Touristen beim Übersetzen nach Großbritannien über die Häfen von Dünkirchen und Calais mit der Region Bekanntschaft machen lässt. Ein Beispiel für die Stärke Frankreichs bei großen Infrastrukturen ist der Bau des 107 km langen, 54 Meter breiten „Canal Seine-Nord Europe„, der von Compiègne in die Nähe von Cambrai führt.
162 Seiten ist das dem „Grand Age“ gewidmete, gehaltvolle Heft stark. Historisch weit ausgreifend wird die Überalterung als eine in Frankreich seit dem 18. Jahrhundert tief verwurzelte Ideologie, als „phobie démographique„, geschildert. Das Alter werde in erster Linie als Problem gesehen, statt auf die hohe Lebenserwartung stolz zu sein. Entlarvt wird die „soziale Konstruktion“ des hohen Alters als Zeit der Abhängigkeit und der „âgisme“ kritisiert. Bemerkenswert ist die geographische Verteilung von Hochbetagten, bei der ganz unterschiedliche Faktoren (z. B. auch die Siedlungsstrukturen) zusammenkommen. Ältere Menschen lebten beispielsweise stärker im Südwesten, im Westen und in der Region Lyon, was auch mit einer höheren Lebenserwartung zusammenhängen könne. In Heimen lebten mehr über Achtzigjährige im Westen und Südosten des Zentralmassivs. An den Küsten wiederum lebten überdurchschnittlich viele Ältere, da Angehörige der Mittelschicht im Alter dorthin ziehen. Im Alter entwickele sich eine Geschlechterungleichheit besonderer Art: 2023 seien unter den 30.000 Hundertjährigen nur 4.000 Männer. Nach den eher schweren Themen wird die zunehmende Rolle Älterer ain der Mode behandelt und insgesamt ihr Auftreten in Filmen: „Les croulants se portent bien à l’écran„.

Unser Vorstandsmitglied Wolfgang Drautz hat im aktuellen Heft über die „Wiederkehr des Krieges“ viel Interessantes gefunden: „Erstaunlich ist schon der Titel „Le retour de la guerre“. Er zeigt, um was es geht und im Vorwort schreibt die Präsidentin, dass zu den großen Themen der Nation weitere hinzugekommen seien: „Sicherheit, Verteidigung und Ausbildung“. Zu den bereits bestehenden Grundlagen gehörten „valeur de la République et principe du service publique„. In den Beiträgen von fast allen führenden Militärs, sind u. a. bemerkenswert und unterscheiden sich von der deutschen Seite:

  • Frankreich habe keine Probleme, genug Nachwuchs für die Streitkräfte zu finden. („La jeunesse française a soif d`engagement et porte une haute estime à l ínstitution militaire„);
  • neben den neuen Technologien (Drohnen) seien die „valeurs morales“ und die „cohésion de la Nation“ wichtig; dazu komme
  • die „singularité du modèle francais„, zu der die atomare Abschreckung und Verteidigungsabkommen außerhalb der NATO zählten, sowie
  • der Staat müsse sich in der Krise direkter in die Investitionsentscheidungen der (Rüstungs-)Industrie einschalten.

Es lohnt sich, das Heft zu lesen.“

Tübingen im deutsch-französischen Fieber

Der französische Generalkonsul für Baden-Württemberg, Gaël de Maisonneuve, zeigt, was aus den eigentlich eher trockenen konsularischen Aufgaben gemacht werden kann.

Nachdem erst vor kurzem ein „Zentrum für frankophone Welten“ an der Universität Tübingen aus der Taufe gehoben worden war, hatte er für 23. Januar zu einer „Journée des associations franco-allemandes“ in die „Villa Württemberg“ des Deutsch-Französischen Kulturinstituts eingeladen. Bei einer mit 60 Personen gut besuchten Veranstaltung hatten Vertreterinnen und Vertreter deutsch-französischer Vereinigungen in Baden-Württemberg Gelegenheit, sich über aktuelle Kooperationsvorhaben und Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren. Die hauptsächlich bürgerschaftlichen Vereinigungen konnten so aus erster Hand erfahren, welche Themen derzeit in den Bereichen Bildung/Spracherwerb, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zwischen Deutschland und Frankreich aktuell sind. Interessant dabei waren insbesondere (hoffentlich) unbürokratische Unterstützungsmöglichkeiten durch das Deutsch-Französische Jugendwerk und den Deutsch-französischen Bürgerfonds, die auch gerade in die Fläche wirken sollen.

Unser Mitglied Mats Goch vom baden-württembergischen Wirtschaftsministerium berichtete auf dem Panel „Wirtschaft“ über die strategischen Vorhaben der baden-württembergischen Landesregierung bei der Zusammenarbeit mit Frankreich. Im Fokus steht dabei momentan u.a. die Umsetzung des neuen deutsch-französischen Ausbildungsabkommens in der Grenzregion, welches im Sommer 2023 von den Außenministerinnen unterzeichnet wurde.

Aus dem Mitgliederkreis

Wir trauern um unser langjähriges Mitglied Dirk Schroeder (Solidarité 1983), der am 3. Februar in Köln verstorben ist. Mit ihm verlieren wir nach Stephan von Holtey das zweite Mitglied aus dieser Promotion.

Bereits im Dezember ist Lukas Schneider unserer Gesellschaft beigetreten. Mit den folgenden Zeilen stellt er sich vor.

„Das Jahr bei der ENA in der Promotion Aimé Césaire (2020/21) und damit des letzten Jahrgangs der ENA vor der Umbenennung, hat mich auch in Subsahara-Afrika stetig begleitet. Nach meinem Abschluss war ich zwei Jahre beim Europäischen Auswärtigen Dienst in der Delegation in Burundi tätig. Hier habe ich eng mit der ENA Burundi, die ihren Namen keinesfalls geändert hat, zusammengearbeitet. Auch die Kontakte mit den afrikanischen Kolleginnen und Kollegen von der ENA waren sehr hilfreich.

Mittlerweile bin ich wieder zurück in Berlin und habe das Glück, im Rahmen meiner Attaché-Ausbildung zu den deutsch-polnischen Beziehungen in der Europaabteilung im Auswärtigen Amt zu arbeiten (Referat E22). In die Verantwortlichkeit des Referats fällt auch das Weimarer Dreieck, das hoffentlich in den nächsten Wochen und Monaten neuen Schwung kriegt.

Ich freue mich sehr, Sie bald kennenlernen zu können.“

„Les Aveuglés“

Sylvie Kauffmann, Redaktionsleiterin von Le Monde, hat im Rahmen eines Robert-Bosch-Fellowship mehrere Monate in Berlin gelebt. In dieser Zeit führte sie zahlreiche Hintergrundgespräche mit Protagonisten der deutschen und französischen Politik der vergangenen 20 Jahre. Entstanden ist daraus ein sehr lesenswertes Buch, das hoffentlich bald ins Deutsche übersetzt wird und über das uns unser Mitglied Jacob Ross (Paris/Berlin) schon heute informiert.

Kauffmanns Buch beginnt an einem Bahnhof in Moskau, einer Stadt, die sie gut kennt. Sie war Osteuropa-Korrespondentin, als 1989 die Berliner Mauer fiel – die erste, die echte Zeitenwende. Als sie nun Anfang 2022 nach der russischen Invasion der Ukraine nach Berlin zurückkehrt, entdeckt sie „ein Land unter Schock“. Auch französische Eliten, deren historisch bedingte Russophilie Kauffmann anhand vieler Beispiele beschreibt, seien durch den Angriff erschüttert worden. Der Einschnitt, den sie in Berlin erlebt, geht jedoch viel tiefer.

Ihre Analyse setzt aber früher an und zeichnet unaufgeregt nach, wie es Putin gelingt, den Westen zu blenden. Kauffmann arbeitet präzise heraus, wie der russische Präsident die Schwächen seiner Gegenüber erkennt und systematisch ausnutzt. In Paris hoffe jeder Präsident darauf, über enge Beziehungen mit Russland einer multipolaren Weltordnung näherzukommen. „Londongrad“ fluten die Oligarchen mit Geld. In Berlin möchte man an das „Ende der Geschichte“ glauben, als Putin 2001 im Bundestag versichert, Russland für Demokratie und Menschenrechte zu öffnen. Dass er damals in Tschetschenien bereits ein völlig anderes Gesicht zeigt, wird auch andernorts ignoriert. In Washington etwa sagt man nach 9/11 nur zu gerne mit Russland dem „internationalen Terrorismus“ den Kampf an.

In allen diesen Städten hat Kauffmann Kontakte, ihr Buch ist gespickt mit Anekdoten. Geschickt lässt die Journalistin anhand vieler kleiner Geschichten eine große entstehen, die zwar weit entfernt wirkt, im Rückblick aber vieles verständlicher macht. Sie beschreibt eine Zeit, in der Putin, Schröder, Chirac und Berlusconi ihre Männerfreundschaft zelebrieren. Sie zitiert aus fiebrigen Verhandlungen 2008 in Tiflis, während russische Soldaten im Norden des Landes vorrücken. Und sie macht den Druck nachvollziehbar, der während des NATO-Gipfeltreffens in Bukarest im selben Jahr auf deutschen und französischen Diplomaten lastet, nachdem sie Georgien und der Ukraine die Beitrittsperspektive versagt haben.

Über die Anekdoten gerät nie die historische Dimension der Ereignisse aus dem Blick. Kauffmann gibt Erklärungsansätze für die Faszination für Russland, die in Deutschland und Frankreich weiter fortbesteht. Linke und Konservative ziehe gleichermaßen der vorgebliche Widerstand Russlands gegen die westlichen Konsumgesellschaften und die Ablehnung eines oberflächlichen Materialismus an. In beiden Ländern macht sie auch den latenten Antiamerikanismus aus, der sich häufig hinter solchen Gedankengängen versteckt.

In Deutschland wird es Putin durch die große geopolitische Naivität leichtgemacht. Protagonisten der Russlandpolitik geben das offen zu. Kauffmann zitiert Thomas Bagger, Spitzendiplomat im Auswärtigen Amt, der sagt, kein Land habe eine „simplistischere Lesart“ von Fukuyamas These gepflegt als Deutschland. Die wichtigste Lektion des Mauerfalls und der Zeitenwende von 1989 sei schließlich gewesen, dass Berlin „den anderen voraus sei“. Und Christoph Heusgen, langjähriger diplomatischer Berater Angela Merkels, habe 2022 erst realisiert, dass Russland der Mehrheitseigner des größten deutschen Gasspeichers war.

Das Buch vollzieht sachlich und ohne Polemik das Versagen der deutschen Politik nach. Zudem widersteht die Autorin der Versuchung, Berlin zum Sündenbock zu machen. Auf die erste russische Invasion der Ukraine 2014 sei niemand vorbereitet gewesen, schreibt sie – im Kanzleramt nicht, aber auch nicht im Elysée, im NATO-Hauptquartier oder im Weißen Haus. Allerdings hätten die USA und auch Großbritannien nach 2014 ihre Schlüsse gezogen, spät, aber immerhin. Im Kanzleramt wurde nach der Invasion der Krim und des Donbas das Nord Stream 2-Projekt abgesegnet und in Paris träumte Emmanuel Macron den Traum einer europäischen Sicherheitsarchitektur mit Russland.

Ihre verfehlte Russlandpolitik haben Berlin und Paris europäisches Vertrauen gekostet. Allerdings merkt Kauffmann kritisch an, dass die EU-Staaten in Nord- und Osteuropa trotz ihres „aktuellen moralischen Kredits“ in Zukunft mehr tun müssten, als nur zum vollständigen Ausschluss Russlands aufzurufen. „Es reicht nicht“, schreibt sie am Ende des Buches, „Recht gehabt zu haben, um den Schwerpunkt der EU von West nach Ost zu verschieben“. Sie endet mit der Frage, ob sich aktuell nicht ein historischer Bogen schließe, der sich mit dem Mauerfall 1989 voller Optimismus geöffnet habe.

„Deutsch-französischer Nach- und Aufruf“

Am historischen 22. Januar fand in Berlin in Anwesenheit von Staatspräsident Emmanuel Macron der Trauerstaatsakt für Wolfgang Schäuble statt. Aus diesem Anlass haben auf Initiative der baden-württembergischen Bundestagsabgeordneten Andreas Jung, Franziska Brantner und Michael Link zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft beider Länder einen „Deutsch-französischen Nach- und Aufruf“ unterzeichnet: MERCI DU FOND DU CŒUR, WOLFGANG SCHÄUBLE!

„Als junger Bundestagsabgeordneter gründete Wolfgang Schäuble gemeinsam mit dem Bürgermeister von Colmar Joseph Rey den badisch-elsässischen Gesprächskreis. Mit den letzten Wahlkampfauftritten seines Lebens unterstützte er pro-europäische Parlamentskandidaten im Elsass und in Lothringen. Geboren im Krieg, aufgewachsen in der französischen Besatzungszone, gewählt in der südbadischen Grenzregion war ihm die Freundschaft mit Frankreich zeit seines Lebens Herzensanliegen – als Fundament für ein starkes Europa. Wolfgang Schäuble pflegte als Minister engsten Austausch mit den jeweiligen französischen Pendants. Als erster deutscher Finanzminister nahm er an einer Sitzung des französischen Kabinetts im Élysée-Palast teil. Er formulierte den Anspruch, französische und europäische Interessen stets mitzudenken: „Wenn eine Lösung für Europa gut ist, dann ist sie gut für Deutschland. Und wenn etwas für Europa schlecht ist, kann es nicht gut für Deutschland sein.“ Deutsche Einheit und europäische Integration, offene Grenzen und gemeinsame Sicherheit, ein starker Euro als Garant für Stabilität – diese Grundüberzeugungen prägten sein Handeln.

Als Bundestagspräsident leitete Wolfgang Schäuble am 25. März 2019 in Paris gemeinsam mit dem Präsidenten der Assemblée nationale Richard Ferrand die Konstituierung der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung – als gemeinsame Kammer aus 50 deutschen und 50 französischen Abgeordneten einzigartig auf der Welt. Zuvor hatten die beiden Präsidenten das Deutsch-Französische Parlamentsabkommen unterzeichnet. Mit ihm wurde 56 Jahre nach dem Élysée-Vertrag als Regierungsabkommen die deutschfranzösische Freundschaft um die parlamentarische Dimension erweitert und so auf eine völlig neue Ebene gehoben. Ohne den leidenschaftlichen Einsatz von Wolfgang Schäuble mit seinem Kollegen in Paris wäre all das nicht möglich geworden. Noch in seinem letzten Interview – erschienen am 24. Dezember 2023 zwei Tage vor seinem Tod – forderte Wolfgang Schäuble eine Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks als „deutsch-polnisch-französischen Motor für Europa“ – und zur Stärkung europäischer Verteidigungsfähigkeit: „Lasst uns diesen europäischen Weg gehen. Nur gemeinsam kann Europa wirtschaftlich, militärisch und auch umweltpolitisch eine Rolle in der Welt spielen.“ Das ist sein Vermächtnis. Und so findet der Trauerstaatsakt zu seinen Ehren aus gutem Grund am 22. Januar statt, dem „Deutsch-Französischen Tag“ – exakt 61 Jahre nach Unterzeichnung des Élysée-Vertrags und auf den Tag genau sechs Jahre, nachdem Wolfgang Schäuble als erster Bundestagspräsident am 22. Januar 2018 vor der Assemblée nationale gesprochen hat. In dieser Rede bezeichnete er die deutsch-französische Freundschaft als „Geschenk aus der Geschichte“. Es sei jedoch der Weitsicht mutiger Menschen zu verdanken. Nach den Weltkriegen und den deutschen Verbrechen hätten sie Wege zur Versöhnung gewiesen. Wolfgang Schäuble erklärte: „Was erreicht wurde, ist uns Ansporn.“ Und weiter: „Nutzen wir unsere Freiheit heute. Nehmen wir unsere Verantwortung so couragiert wahr wie die Unterzeichner damals. Gemeinsam!“ Wolfgang Schäuble ist dieser Verantwortung mehr als gerecht geworden, geradlinig und unermüdlich.

Der Trauerstaatsakt im Bundestag mit Emmanuel Macron ist aber mehr als die Würdigung großer Verdienste: Er ist Auftrag und Appell: Auftrag an uns als politisch und gesellschaftlich Verantwortliche, in enger Partnerschaft die europäischen Visionen mit Leben zu füllen. Und Appell an alle jungen Menschen, diese europäische Idee mit Begeisterung weiter zu tragen. Frieden, Freiheit und Freundschaft sind nicht selbstverständlich, sie müssen immer wieder neu erarbeitet werden. Und dabei ist die europäische Integration bei weitem nicht vollendet, sie muss entschieden weiter geformt werden. Von Herzenseuropäern – so wie Wolfgang Schäuble einer war. In großer Dankbarkeit für sein Lebenswerk werden wir Wolfgang Schäuble ein ehrendes Andenken bewahren. Wir verneigen uns vor einem großen Deutschen, einem großen Freund Frankreichs und vor einem großen Europäer.
Merci du fond du cœur, Wolfgang Schäuble.“

Zum Tod von Alfred Grosser

Unser Mitglied Traudel Boxheimer (Mainz) schreibt zum Tod des Publizisten Alfred Grosser:

„Als Schülerin der ENA in der Rue de l`Université 1988 waren es zu Fuß keine zehn Minuten, die ich mit Kollegen der Promotion „Michel de Montaigne“ benötigte, um zu den Vorlesungen von Alfred Grosser bei „Sciences Po“ in der Rue Saint-Guillaume zu gelangen. Er war so kurzweilig, so treffsicher in seinen Beschreibungen der Deutschen und der Franzosen, dass es eine Bereicherung war, ihn zu hören, selbst, wenn er von der Verfolgung der Juden in Nazi-Deutschland sprach. Er selbst hat später in seinem Buch „Le Mensch“ geschrieben: „Andere mit Wärme und Vernunft aufklärerisch beeinflussen zu wollen: Das gehört auch zu meiner Identität.“ In seinen Vorlesungen war erstaunlicherweise keine Bitterkeit über die lebensrettende Flucht seiner Eltern aus Frankfurt am Main zu spüren. Er differenzierte, war doch Deutschland für ihn das Land, das gleichermaßen Auschwitz wie Goethe hervorbrachte. „Der Deutsche“, die Kollektivschuld existierte für ihn nicht, ebenso wenig wie „der Islam“. Den Tod hat er nicht gefürchtet. Man sollte hoffen, schrieb er in „Le Mensch“, im Moment des Sterbens sagen zu können, dass man ansteckend gelebt hat, dass man seine Zeit genutzt hat, um den anderen zum Sein und zum Anderssein zu verhelfen. Grosser wollte den Anderen Mensch sein lassen.

Grosser hat ansteckend gewirkt, nicht anders ist zu erklären, dass der Hörsaal bestimmt zur Hälfte mit Studierenden, die nicht eingeschrieben waren, besetzt war. Seine Analyse, sein Differenzieren, seine Zuversicht fehlen sehr.“

Auf WhatsApp erinnert sich auch Irene Liebau (Berlin) an Alfred Grosser:

„Ich bin im Jahr 1970 für meine Magisterarbeit über de Gaulle und seinen politischen Stil bei der Beendigung des Algerien Kriegs einige Monate bei „Sciences Po“ gewesen und von Alfred Grosser empfangen worden. Das Gespräch hat mich damals sehr beeindruckt und ist mir bis heute in lebhafter Erinnerung.“

Es tut sich was am Oberrhein

Nachdem auf deutscher Seite ein in Wyhl am Kaiserstuhl geplantes Kernkraftwerk in den Siebzigerjahren mit massivem Widerstand aus der Region („Nai hämmer gsait!“) verhindert worden war, gab das gegenüber in Frankreich gelegene AKW Fessenheim dort über lange Jahre hinweg Grund zur Besorgnis. Auch das aktuelle Vorhaben eines „Technocentre“ für das Recycling schwach radioaktiver Metalle stößt nun auf Kritik. Unser Mitglied Andreas Uebler (Sélestat) hatte die Gelegenheit für einen Besuch „vor Ort“.

„Mein Besuch am 5. Dezember in Fessenheim war sehr interessant. Le site de Fessenheim ist aus französischer Sicht voll in Bewegung. Es war beeindruckend, in welcher Menge und Qualität wir von der EDF empfangen und über drei Stunden mit Informationen und Gesprächen versorgt wurden. Mehrere Personen reisten extra mit dem TGV von Paris aus an.

Nach meinem persönlichen Eindruck ist die EDF stark und selbstbewusst, aber im Gegensatz zu früher nicht mehr so verschlossen und arrogant. Das Unternehmen ist weltweit aufgestellt und meines Erachtens in der gesamten Nukleartechnik wohl auch ganz vorne mit dabei. Das Unternehmen ist aktiv in der Kommunikation und dialogorientiert. Trotzdem war es kein dialogue des sourds. Das liegt daran, dass der Lauf der Dinge natürlich für die EDF spricht und Fessenheim in Frankreich liegt.

Im Einzelnen: Die EDF baut auf dem Gelände ein „Technocentre“ für die Behandlung schwach radioaktiver Metallreste aus AKW-Anlagen. Das Metall wird von der radioaktiven Belastung befreit, anschließend mit sehr großen Maschinen gepresst, um dann wiederverwendet zu werden. Es gibt wohl eine etwas vergleichbare Anlage in Schweden, aber man betritt hier von der Dimension her neue Wege. Die Inbetriebnahme soll im Jahre 2031 erfolgen. Es besteht kein direkter Zusammenhang mit dem Rückbau des AKW Fessenheim.

Beim Rückbau des AKW sei man mit den Vorbereitungen voll im Plan, alle nuklearen Komponenten seien beseitigt. 2026 soll ein definitives décret für den Rückbau erlassen werden. Die „besenreine“ Übergabe des site ist für 2041 vorgesehen.

Meiner Einschätzung nach setzt Frankreich weiterhin voll auf l’énergie nucléaire. Die EDF hat das Monopol für alle Bereiche dieser Technik. Die wahrscheinlich damit verbundenen Finanzinvestitionen und vielleicht auch die politischen Abhängigkeiten lassen einen gefühlt schwindelig werden. Man muss auch sorgsam auf den Effekt „Staat im Staate“ achten.“


Berichtigung

Sigurd Rothe weist aus Straßburg darauf hin, dass es sich bei der in der letzten Ausgabe des „Forum“ abgebildeten Gruppe nicht um die „Promotion Guillaume Apollinaire“ sondern die für 2023/24 frisch zugelassenen Studierenden handelt, die den Namen ihrer Promotion erst Anfang des Jahres in einem wahrscheinlich wieder nervenaufreibenden gruppendynamischen Prozess festlegen. Hier nun Foto und Logo der aktuellen Promotion.

Deutsch-französische Agenda

Am 18. Januar hat das „Deutsch-Französische Zukunftswerk“ (Berlin/Paris), das auf deutscher Seite vom ehemaligen Direktor des „Deutsch-Französischen Instituts“ Ludwigsburg Frank Baasner geleitet wird, in Berlin Handlungsempfehlungen zur nachhaltigen Stadtentwicklung vorgestellt. Zum fünfjährigen Jubiläum des „Aachener Vertrags“ sollten diese zeigen, „wo und wie beide Länder sich inspirieren können und welche Hebel Bund und Länder in der Hand haben, um Transformationsprozesse auf kommunaler Ebene zu gestalten.“

Das von Barara Schmitz geleitete Frankreich-Zentrum der Universität Freiburg bietet dieses Frühjahr in Zusammenarbeit mit anderen Freiburger Einrichtungen wieder zahlreiche Veranstaltungen an. Das Programm zeigt, wie intensiv die Verbindungen mit Frankreich am Oberrhein sind.

Am 12. April wird Mathias Enard mit seinem neuen, ab März auch in deutscher Übersetzung erhältlichen Roman „Tanz des Verrats“ zu Gast am Centre Culturel Français Freiburg sein. Die Lesung findet statt als Kooperation von Centre Culturel Français Freiburg, Frankreich-Zentrum, Literaturhaus Freiburg und der berühmten Buchhandlung „Zum Wetzstein“.

Wenige Tage später, am 16. April, wird der Soziologe, Autor und Philosoph Didier Eribon am Literaturhaus das seiner Mutter gewidmete Buch „Eine Arbeiterin. Leben, Alter und Sterben“ vorstellen. Die Einladung zu dieser Lesung erfolgte von Literaturhaus, Centre Culturel Français und Frankreich-Zentrum.

Am 23. April wird wiederum Constance Debré mit ihrem autofiktionalen Roman „Love me tender“ am Centre Culturel Français Freiburg zu Gast sein. Bei dieser Lesung kooperieren Frankreich-Zentrum und Centre Culturel Français.

Weitere Informationen unter https://www.fz.uni-freiburg.de/de .


Der „Figaro“ auf Youtube

Aus dem Mitgliederkreis wurden wir auf den Youtube-Kanal des „Figaro“ aufmerksam gemacht, der über 610.000 Abonnenten verfüge: www.youtube.com/@LeFigaro .


„La diagonale du vide“

Für Leser des „Forum“ von Interesse ist vielleicht diese Reportage des Deutschlandfunks aus der „France profonde„: https://www.deutschlandfunk.de/frankreichs-grosse-leere-unterwegs-auf-der-diagonale-du-vide-dlf-f5e295fe-100.html .

Die Pariser Jahre des Paul Strecker

Beim kulturellen Rahmenprogramm unserer Mitgliederversammlung mit deutsch-französischem Schwerpunkt am 11. November besichtigten wir auch eine Ausstellung mit Werken und Dokumenten des aus Mainz stammenden Malers Paul Strecker im „Kunsthaus Dahlem“. Unser Mitglied Traudel Boxheimer, ebenfalls Mainzerin, hat über den Künstler recherchiert und ist dabei auf interessante Verbindungen gestoßen.

„Paul Strecker wurde am 13. August 1898 in Mainz geboren. Er war der jüngste Sohn des Ehepaares Elisabeth und Ludwig Strecker, der Inhaber der Firma B. Schott’s Söhne. Dieser Musikverlag mit dem Kerngeschäft zeitgenössische Musik ist mir sehr wohl bekannt. Im Stammhaus, dem historischen Weihergarten Nr. 5, hatte ich wiederholt die Aufgabe, Noten für meine musizierenden Söhne zu besorgen.

Bernhard Schott hatte den Verlag 1770 gegründet. Er kam mit dem Mainzer Kurfürsten, der französischen Revolution, der sich Mainz anschloss („Mainzer Republik“), den „Preußen“ und in der „Franzosenzeit“, also der Eingliederung von Mainz als Département du Mont-Tonnerre (Donnersberg) nach Frankreich, zurecht. Nach der Gründung des Deutschen Bundes und dem Übergang Rheinhessens an das von Ludwig I. regierte Großherzogtum Hessen im Jahre 1816 erhielten die Söhne Bernhards das Privileg einer „Hofmusikhandlung“. 1826 wurde in Paris die erste Filiale errichtet – „Les Fils de B. Schott„.

Noch im selben Jahr druckte der Verlag die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven und wurde der letzte Verleger des Komponisten. Seit 1861 verlegte Schott zudem die Werke Richard Wagners, der persönlich 1862 in die Gebäude des Verlags im Weihergarten 5 kommt, um dort zu arbeiten. Schott und Söhne verlegte die Werke Wagners bis zu dessen Tod. In der Folgezeit kam es zum Wechsel von Schott zur Verlegerfamilie Strecker.

Paul Strecker war der dritte Sohn des Verlegers Ludwig Strecker, dem testamentarischen Nachfolger der Schott-Familie. Paul Strecker widmete sich schon als Kind der bildenden Kunst. Im September 1924 ließ er sich nach seinem Kunststudium in München und Berlin, in Paris nieder, das für 20 Jahre zu seinem Lebensmittelpunkt wurde. Er kam, wie seine Briefe belegen, mit vielen zeitgenössischen Künstlern in Kontakt. Vor dem Einmarsch der Alliierten kehrte Paul Strecker 1944 nach Berlin zurück. Sein Verlegerbruder Willy sammelte zeitgenössische Kunst, natürlich auch die Werke von Paul Strecker. Dessen Erben verkauften 1958 die Sammlung an das heutige Kölner Museum Ludwig (https://museum-ludwig.kulturelles-erbe-koeln.de/). Im Internet können acht Werke von Paul Strecker aus der Pariser Zeit angeschaut werden, wenn man unter dem Link „Künstler“ den Namen Paul Streckers eingibt. Das Vermächtnis der Niederschriften aus seinen Pariser Jahren, die wir in der Ausstellung sahen, befindet sich in der Akademie der Künste in Berlin (https://digital.adk.de/.). Der Schott-Verlag hatte 2007 sein Gesamtarchiv mit insgesamt 85.000 Archivalien, darunter zahlreiche Autographen von Komponisten, Drucke und Geschäftsunterlagen und auch den Schriftstücken von Paul Strecker, mehreren Archiven vermacht. Dank deren Erschließung sollen Wissenschaftler in Zukunft auf einen Großteil dieses Materials zugreifen können, dank Digitalisierung wie bei der Akademie der Künste in Berlin sogar online.“

A ne pas manquer

Nach dem „Romantischen Paris“ (1815-1858) und der „Stadt des Spektakels“ (1900) schließt sich derzeit die Ausstellungstrilogie im Petit Palais mit dem „Paris der Moderne“ (1905-1925). Gezeigt werden bis 14. April an die 400 Werke aus Malerei, Bildhauerei, Tanz, Design und Architektur aus den Jahren, in denen die Stadt nach Ernest Hemingway „A moveable feast“ war.

https://www.petitpalais.paris.fr/expositions/le-paris-de-la-modernite-1905-1925

Petit Palais – Musée des Beaux-Arts de la Ville de Paris
Avenue Winston Churchill
75008 Paris
Eintritt 13/15 Euro